Der Einfältige nimmt sich weder wichtig noch findet er sich tragisch.
Er folgt seinem Weg als gutmütiger Mensch mit leichtem Herzen, ohne Ziel, ohne Bedauern, ohne Ungeduld.
Die Welt ist sein Königreich, und sie genügt ihm vollkommen.
Die Gegenwart ist seine Ewigkeit, die ihn überglücklich macht.
Es gibt nichts zu beweisen, und deshalb will er niemandem etwas vormachen.
Es gibt nichts zu suchen, weil alles schon vorhanden ist.
Was gäbe es einfacheres als die Einfachheit?
Was gäbe es leichteres?
Genau dies ist die Tugend der Weisen
und die Weisheit der Heiligen.
Matthieu Ricard
Dass das Leben kurz ist, bedeutet nicht,
dass wir so unmoralisch wie möglich leben sollen,
um diese kurze Spanne
mit möglichst viel Gier und Extase zu füllen.
Es bedeutet umgekehrt auch,
dass es sich lohnt,
Opfer für das zu bringen,
was einem richtig erscheint.
Denn genauso
wie der Spaß
wird auch das Leid
nicht ewig dauern.
Aber unsere moralische Zufriedenheit
begleitet und trägt unsere Seele
für den Rest der Ewigkeit.
(Nein, das ist ausnahmsweise nicht von Landwehr, das ist von mir!)
"Und?" fragte Landwehr, als Luisa sich zu ihm setzte.
Er hatte bereits seine Gulaschsuppe zur Hälfte ausgelöffelt, während ihr voller Suppenteller noch auf dem Tablett dampfte.
Sie strahlte. "Alles wird gut. Der Alte ist gar nicht so übel."
"Jetzt mache ich mir Sorgen!" ulkte Landwehr und wies mit dem Löffel auf den leeren Platz ihm gegenüber.
Luisa konnte nicht verhindern, dass sie sich umblickte, um zu sehen, wer beobachtete, dass sie sich zum unbeliebtesten Ausbilder des ganzen Schiffs setzte. Aber in dem Raum, der angefüllt war von Gulaschduft, Stühleschieben, Mittagsgesprächen und Löffelklappern achtete niemand darauf, dass Luisa sich auf einen der letzten leeren Plätze setzte.
"Er war ganz freundlich, wirklich, und scheint mich auch ganz gut zu finden", strahlte Luisa.
"Was hat er denn genau gesagt?" fragte Landwehr misstrauisch und pustete auf seinen Löffel.
Luisa beugte sich vor und flüsterte: "Er hat mir sogar Tee angeboten. Und ich durfte mich in einen Sessel setzen."
"Uuuu", scherzte Landwehr, "wozu wollte er dich denn verführen, der alte Knabe?"
Luisa lächelte. "Der Käptn will, dass ich eine Zusatzausbildung zum Funker mache."
"Ah."
"Ja, meine Ergebnisse in den Prüfungen ergeben, dass ich ideal dafür geeignet bin."
"Er findet sonst keinen anderen Trottel."
"Das ist ein ehrenwerter Posten!" muckte Luisa auf.
"Ja, und genau deshalb klebt Erwin auch so dran. Ist dir schon aufgefallen, dass wir bereits zwei Funker haben? Erwin und Bill heißen sie und die sind doppelt so schwer wie du - jeder von denen."
"Haha, sehr witzig."
"Das wird überhaupt nicht witzig, wenn die dich zu Brei schlagen, Kindchen."
"Aber warum sollten sie das tun? Sie sind wirklich ein schlechter Mensch, der von allen nur das Schlimmste denkt!"
"Frag die beiden doch, ob sie sich freuen, Zuwachs zu kriegen."
"Dann können sie öfter frei machen. Urlaub und so. Bisher arbeiten sie ja jeden Tag 12 Stunden. Der Funkerposten muss ständig besetzt sein."
"Jepp, sehr wichtige Position. Die sind auf ihren Stühlen festgewachsen. Die wohnen an ihrem Arbeitsplatz. Meistens sitzen sie zu zweit da und spielen Schach. Kannst du Schach?"
"Nein, aber für Schach braucht man ja nur zwei Spieler."
"Eben! Schwarz und weiß. Für Rosa ist kein Platz auf dem Spielfeld."
"Warum rede ich überhaupt mit Ihnen?" fragte Luisa und zerrupfte wütend ihr Brötchen.
"Damit dir jemand die Wahrheit sagt?" schlug er vor.
"Aber selbst wenn Sie recht haben. Ich könnte doch dem Käptn sowas nicht abschlagen."
"Nein, aber ich rate dir, dich dumm zu stellen und ein paar harmlose Funksprüche zu versieben. Dann..."
"Ich soll absichtlich Fehler machen?"
"Willst du irgendwann volljährig werden oder nicht?"
"Ich BIN schon volljährig, Sie Hornochse!" Sie blickte sich nach einem anderen Sitzplatz um, aber es war keiner frei.
"Gut, du hörst also nicht auf meinen Rat. Du wollest einfach nur, dass ich dir dazu gratuliere, dass der Käptn dich den beiden Funk-Haien zum Fraß vorwirft. Ich gratuliere also. Und falls du dich dann bei mir ausheulen willst, dann werde ich mir den schlimmsten aller schlimmsten Mentorensprüche verkneifen, der da heißt: 'Ich hab´s dir doch gleich gesagt!'"
"Sie verderben mir die ganze Freude an dieser Auszeichnung."
"Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, sagten wir damals auf der Erde. Du weißt schon, Porzellan ist dieses Zeugs, das kaputt geht, wenn es der Schwerkraft folgend..."
"Ja, ja, ich erinnere mich", knurrte sie. "Ich bin schließlich nicht auf diesem Schiff geboren, wo man aus Blechnäpfen isst."
"Der Kapitän hat Porzellan. Hat er es dir nicht gezeigt?"
"Vielleicht bei meiner Beförderung zum Oberfunker", knurrte Luisa.
"Hey, du willst zwei Morde begehen?" fragte Landwehr mit gespieltem Erstaunen.
"Nein, ich werde verdammt gute Arbeit leisten."
"Und was ist das, was Erwin und Bill tun?"
"Schachspielen?"
"Mädchen, du hast eine interessante Ausbildung vor dir. Du wirst fürs Leben lernen. Falls du es überlebst." Landwehr hatte seinen Teller leer und während er sich erhob, flüsterte er: "Dann lass ich dich mal in Ruhe essen. Die Suppe schmeckt kalt nämlich wie tote Füße."
Er hatte schon das Tablett erhoben und wandte sich ab, da sagte Luisa: "Ich fürchte, Sie haben wie immer Recht. Wenn der Käptn jemanden lobt, ist was faul dran."
Landwehr grinste und hob die Hand an die Mütze zum Gruß. Dann ging er davon, um sein Tablett auf das Förderband zu stellen.
Luisa stocherte in ihrem Gulasch herum. Sie fühlte sich gar nicht so großmäulig wie sie getan hatte. Obwohl die beiden Funker die meiste Zeit des Tages saßen und Schach spielten, sah man sie auch oft genug im Trainingsraum. Beide hatten das Kreuz eines Boxers. In was war sie jetzt schon wieder reingeraten? Und warum passierte so etwas immer ausgerechnet ihr? Sollte sie wirklich absichtlich Fehler machen? Zunächst mal würde sie sich die Sache ansehen. Vielleicht waren Erwin und Bill ja eigentlich ganz nett und ihrem Charme nicht abgeneigt? Sie galten als intelligent und kluge Menschen mochten doch die Gesellschaft anderer kluger Menschen. Sie seufzte. Eigentlich wollte sie ganz gerne Funker werden, aber war sie bereit, dafür ihre gerade Nase und die Vorderzähne zu riskieren?
Der junge Anwalt setzt sich dafür ein, das Leben seiner Mandantin zu retten, deren Schuld nicht eindeutig beweisbar ist. Je länger der Prozess dauert, umso deutlicher wird, dass so mancher Zeuge vielleicht schuldiger ist als die Angeklagte und dass hier im Hintergrund manipuliert wird. Trotz aller Warnungen kämpft er weiter. Vor dem Prozess war er ein Kriegsheld mit besten Aufstiegschancen im Ministerium, nach dem Prozess ist er unerwünschte Person. Er hat für die Gerechtigkeit gekämpft, viel riskiert und viel verloren. Aber offensichtlich hat er als Journalist weitergekämpft:
http://thisweekinthecivilwar.com/2011/04/26/colonel-frederick-a-aiken-biography/
Und hier noch Informationen zu Mary Surratt:
http://en.wikipedia.org/wiki/Mary_Surratt
Faszinierend, wie gründlich der Film den Fotografien ähnelt!
„Aber das ist ungerecht!“ rief Krasowski. „Sie müssen das richtigstellen!“ Statt sich wie angewiesen auf den Stuhl zu setzen, stapfte der junge Mann wütend in dem ansonsten leeren Casino hin und her.
Landwehr schüttelte den Kopf. „Das ist unnötig und unmöglich.“
„Aber sie verbreiten überall, ich hätte meine Dienstpflicht verletzt! Dabei leiste ich mehr unbezahlte Überstunden als jeder von denen!“
„Solange ich weiß, dass es sich dabei um Lügen handelt, kann dir keiner was.“
„Sie schubsen mich im Duschraum und zerstören mein Handtuch! Wer weiß, was als nächstes kommt!“
„Das tun sie nicht deshalb, weil du angeblich zu wenige Dienststunden leistest, mein Sohn“, seufzte Landwehr. „Sie tun das, weil du diese Sonderausbildung bei mir machst und sie es dir neiden.“
„Wollen Sie etwa sagen, dass es richtig ist, was die tun?“
„Es ist nicht richtig, aber es ist mächtig. Selbst wenn du ihnen dein Zeitkonto offen legst, werden sie immer noch Betrug unterstellen. Und selbst wenn man sie dazu zwingen könnte, nicht mehr auf deinen Stunden herumzuhacken, würden sie etwas anderes finden. Die Frage für dich lautet nicht, ob und wie du dich wehren willst, sondern: Willst du diese Ausbildung weiterführen und ein Außenseiter bleiben? Oder wieder einer von ihnen werden?“
„Könnte ich das denn?“ fragte Krasowski. „Ich bin doch unehrenhaft degradiert worden.“
„Ich könnte mich für dich einsetzen.“ Landwehr sah ihn an ohne zu blinzeln. „Also, was willst du?“ Seine Falten sahen schärfer aus als sonst.
„Das ist ein Test, oder?“ fragte Krasowski misstrauisch.
Landwehr lachte. „Eine Prüfung, die dir die Gruppe auferlegt, wie so vielen vor dir. Willst du einer von vielen sein oder willst du etwas Besonderes sein? Du musst dich klar und bewusst entscheiden und die Folgen davon tragen.“
„Ich hatte mich schon entschieden“, sagte Krasowski leise.
„Aber du musst es jetzt wieder tun, jetzt wo du weißt, wie sehr es dich schmerzt.“
„Sehen Sie mit Ihrer Lebenserfahrung denn keine Möglichkeit, dass ich Sicherheitsingenieur werden und trotzdem einer von ihnen bleiben kann?“
„Du kannst einer der oberen Riege werden, das kannst du.“
Krasowski schloss die Augen und atmete stoßweise und schluchzend. „Scheiße, war ich früher glücklich.“
„Also, was macht dich für den Rest deines Lebens glücklich? Denk zwei Tage drüber nach, es eilt ja nicht.“
„Mach ich“, versprach Krasowski bedrückt.
Landwehr legte ihm die Hand auf die Schulter. „So ist das Leben. So sind die Menschen.“
„Wassereinbruch in Schott 7! Wassereinbruch in Schott 7!“
Während Krasowski und Landwehr den Gang entlang rannten, ihre Helme unter dem Arm, fragte der Junge irritiert: „Sind wir hier denn im U-Boot?“
Landwehr zog nur die Schultern hoch und rief zurück: „Da bin ich auch gespannt!“
Schließlich drückten sie sich die Nase an der Fensterscheibe einer Zwischentür von Schott 7 platt.
„Das gibt´s doch nicht“, lachte Sergej. „Ein Wasserrohrbruch, ganz wie zu Hause auf der Erde!“
Das sich drehende längliche Schiff hatte in seinem Inneren die Technik und alle lebenswichtigen Abteilungen, während der Komfort in der äußeren Reihe lag. Schott 7 enthielt unter anderem den Rosengarten. Irgendein Forscher hatte festgestellt, dass Rosenduft – nur echter! – gut für die Nerven sei. Da das Schiff um seine Längsachse rotierte, klebte die Erde außen an der Schiffswand und die Rosen wuchsen nach innen. Von oben beziehungsweise innen wurden sie nun von einem Schwall Wasser geduscht, den die Fliehgeschwindigkeit durch die Zwischenwand in den Rosengartenraum presste.
Der Techniker kam gerade um die Ecke und erklärte: „Die Waschmaschine war verstopft und lief über.“
Nun prustete auch Landwehr. „Gut, wir werden das dann mal aufwischen. Schalten Sie so lange die Dusche ab!“
Sie stiegen durch die Luke hinein in den Rosengarten. „Bei Regen duften Blumen besonders stark“, stellte Sergej fest. „Brauchen wir die Gasmasken?“
„Hey, nichts gegen Blumenduft!“ rief Landwehr, hängte seinen Helm über einen Pfosten, an dem sich gelbe Rosen hoch rankten, und stellte eine Plastikwanne, die er an der Wand fand, unter das Loch im „Dach“. „Das ist wirklich wie auf der Erde“, schmunzelte er, während ihm Spritzwasser auf die Haare pflatschte. „Übrigens ist das Wasser warm“, bemerkte er.
Sergej fragte: „Vertragen die Rosen Seifenlauge oder müssen wir sie nun entgiften?“
„Ich würde sagen, davon sterben sie nicht so leicht.“
„Wollen wir das Risiko wagen?“ fragte Krasowski ernsthaft. „Falls sie eingehen, können wir hier im Weltall nicht so leicht neue tanken.“
„Quatsch, jede Raumstation züchtet ihre eigenen Rosensorten. Rosen im Weltall zu kaufen ist gar kein Problem.“
„Gut, dann können wir wohl davon ausgehen, dass das Wasser versickert und wir keine Umgrabearbeiten zu machen brauchen.“
„Richtig, Herr Sicherheitsingenieur.“
„Tja, dann gibt es eigentlich gar nichts zu tun.“
„Doch, wir überwachen das hier, bis der Regen aufhört.“ Landwehr blickte mit zusammengekniffenen Augen nach oben. Aus dem Wasserstrahl war ein Tropfen geworden, sie hörten die schweren Schritte von Sicherheitsschuhen über ihrem Kopf. Eine Pumpe begann zu vibrieren.
„Eigentlich“, sinnierte Sergej, „müssten gerade Waschmaschinen in der Schwerelosigkeit besser funktionieren als unter Schwerkraft. Sie heben ja die Schwerkraft mit viel Mühe auf.“
„Puh“, machte Landwehr. „Wenn der Wäschekeller schwerkraftlos wäre, stell dir diese Sauerei vor! So haben sie das Fußbad wenigstens nur an einer Wand. Allerdings frage ich mich, wie viele Löcher dieses Raumschiff noch hat, die bisher keiner bemerkte. Ohne diesen Wassereinbruch hätten wir nie entdeckt, dass etwas undicht ist zwischen Wäschekeller und Rosengarten.“
„Ist das ein Problem, hier im Inneren?“
„Nicht, solange in allen Räumen die Luft rein ist. Aber stell dir eine Feuerbrunst vor oder das Explodieren eines Giftfässchens, und plötzlich verbreiten sich Rauch oder Dampf im ganzen Schiff, weil es durch ein Labyrinth von Löchern durchzogen ist. Da werden wir demnächst mal Tests mit Zitronendampf durchführen.“
„Zitronendampf?“ fragte Sergej. „Ich habe davon gelesen. Aber wird das nicht eine riesige Sauerei, wenn wir alle Räume mit gelbem, nach Zitrone stinkenden Qualm fluten?“
„Nicht alle. Die anderen kriegen Orange oder Pfefferminz“, knurrte Landwehr. „Verdammter Gestank wird das, alle werden uns verfluchen. Wir werden Wochen brauchen, bis die letzten Spuren Raumparfum getilgt sein werden. Aber ich halte das hier dringend für nötig, das hat seit Jahren keiner mehr auf diesem Schiff gemacht. Und das hier“, er wies auf das Loch in der Decke, „ist ein Zeichen, dass es dringend mal wieder nötig ist. Wir sollten uns schämen, dass wir nicht früher drauf gekommen sind, wir elenden Geruchsfeiglinge.“
"Wie können Sie so grausam sein?" jammerte Christina, die zum dritten Mal durch dieselbe Prüfung durchgefallen war. Somit war ihre Ausbildung schlagartig vorbei. Sie weigerte sich zu entscheiden, ob sie lieber auf dem Planeten aussteigen wollten, wo sie sich gerade befanden, oder zur Erde mit zurück wollte. Christina versuchte stattdessen Landwehr dazu zu bringen, sie doch durch die Prüfung durchkommen zu lassen.
"Man kommt im Leben nicht umhin", dozierte Landwehr, "immer mal wieder ein Arschloch genannt zu werden. Je mehr Macht man besitzt, umso mehr Menschen erwarten, dass man ihnen etwas schenkt. Im Sinne von Gerechtigkeit und Qualität wäre es aber falsch, dich weiter durch die Ausbildung zu schleppen."
"Aber ich bin doch nur durch die Prüfung gefallen, weil gerade..."
"Nein, das bist du nicht. In den gesamten 10 Monaten deiner Ausbildung war ständig etwas anderes. Menschliche Dramen, Krankheiten, Streit und Ärger. Glaubst du, die anderen leben in einem Bilderbuch? Warum sind die anderen durchgängig arbeitsfähig und bestehen ihre Prüfungen, während du von Anfang an eine Sonderbehandlung gebraucht hast?"
"Ich habe eben so viel Pech im Leben", weinte sie und schlug die Hände vor das Gesicht.
"Pechvögel können wir hier nicht brauchen", sagte Landwehr. "Tut mir leid."
"Nein, das tut Ihnen überhaupt nicht leid! Von Anfang an konnten Sie mich nicht leiden! Ich werde mich über Sie beschweren!"
"Tu das ruhig, Kind. Aber es gibt nichts, was für deine Behauptung spricht. Warum denn haben die anderen Lehrkräfte dir auch schlechte Noten gegeben?"
"Weil Sie sie gegen mich aufgehetzt haben!"
Landwehr lachte. "Nun wird es immer abenteuerlicher. Kind, merkst du nicht, in was du dich hinein steigerst? Warum kannst du nicht einsehen, dass du hier einfach am falschen Ort bist? Die Ausbildung passt nicht zu dir. Vielleicht steckt in dir eine geniale Mathematikerin oder eine begabte Kosmetikerin. Warum willst du unbedingt einen Beruf ergreifen, der dir schwer fällt?" Er kannte die Antwort. Sie war auch schon bei anderen Ausbildungen nach einem halben oder ganzen Jahr ausgeschieden. Aber er war nicht dazu berufen, ihre Lebensprobleme zu lösen. Für die Arbeit an Bildschirmen war sie jedenfalls die Falsche. Unkonzentriert, zappelig, oberflächlich.
"Sie sind ein Frauenhasser, das weiß doch jeder!"
"So?`" Er hob die Augenbraue. "Weiß das jeder? Was jedermann so weiß, kann man wie stets in der Pfeife rauchen. Ich weiß jedenfalls, dass du trotz dreimaligem Versuch immer noch nicht die Regeln der Navigation verstanden hast. Du würdest selbst einen Frachter versenken, der die Umlaufbahn seines Planeten nicht verlässt."
"Ihre Fragestellungen sind völlig unklar, da weiß man nicht, worauf Sie hinaus wollen!"
"80% aller Studenten haben aber meine Fragen richtig verstanden. Was folgt daraus?"
"Ich hasse Sie!"
"In Ordnung, ich bin ein Arschloch und du bist raus. Wenn du beschließt, zur Erde zurück zu kehren, bezahlt dir die Armee die Überfahrt und einen Gehalt der Stufe 17. Du wirst dann in der Küche arbeiten."
"Dafür bin ich gut genug oder was?"
"Wer essen will, muss auch arbeiten. Auf einem Schiff sind Ressourcen knapp. Entscheide dich."
Offizier Landwehr war ganz in seinem Element, als er im Kurs "Risikomanagement" mal wieder über Unfälle und Katastrophen berichten durfte. "13. April 2024, wer weiß noch, was damals geschah?"
Niemand meldete sich, denn dieser Fall war bisher noch nicht dran gewesen.
"Klar", sagte Landwehr, "damals habt ihr ja noch keine Zeitung gelesen. Expedition Prometheus, schon gehört?"
Louisa zitierte: "Prometheus war in der griechischen Sage der Halbgott, der in den Himmel stieg, um den Göttern das Feuer zu stehlen."
"Halbrichtig", schmunzelte Landwehr. "Und wie ging das Abenteuer aus?"
"Prometheus wurde erwischt und an einen Felsen gekettet, wo ihm ein Adler ständig die Leber abfrisst, die aber immer wieder nachwächst."
"Und die Menschen haben nun das Feuer, und mit diesem Feuer schmieden sie Waffen, Raumstationen und Kuchengabeln", ergänzte der Lehrer. "Leider konnte Expedition Prometheus das Feuer nicht vom Himmel holen, sondern sie verbrannten sich daran. Ihre Aufgabe bestand darin, Wasserstoff auf der Sonne XA 358 zu tanken und zur Erde zurück zu bringen, damit dort die Fusionsreaktoren Futter haben." Langatmig erklärte und zeichnete er, wie damals das Raumschiff die Sonne erreichte, auf Autopilot schaltete und mit dem Beladen begann. Eine Weggeworfene Zigarette führte dann zu einer Explosion, die das gesamte Schiff in Konfetti zerlegte, die sich weiträumig im Weltall verteilten. "Nichts blieb von ihnen übrig als eine unansehnliche Staubwolke."
Er ließ die Stille wirken, die sich über die Klasse gelegt hatte. Jeder dachte sich wohl, das könnte ihm auch eines Tages passieren.
"Warum also ging der ganze schöne Tanklaster in die Luft, kann mir das jemand zusammenfassen?"
Krasowski meldete sich: "Verstoß gegen die Sicherheitsrichtlinien."
"Ja, aber das geht noch tiefer. Manchmal sind auch Dinge verboten, die keine Richtlinie verbietet. Die Zigarette wurde im Casino geraucht, nur durch eine Verkettung unglücklicher Umstände kam die Explosion zustande."
"Die Sicherheitsrichtlinien brauchen Erweiterung?" fragte Louisa.
"Das Lüftungssystem war defekt?" riet Stefano.
"Hm", machte Landwehr enttäuscht. "Autopilot", sagte er höhnisch, "Richtlinien, Speiseplan, Stundenplan, Etikette und Protokolle. Was seid ihr? Maschinen oder Menschen? Wollt ihr denn, dass man euch programmiert in einer Programmiersprache namens Richtlinien?"
Wieder Schweigen. Die Jungs und Mädels schauten einander ratlos an, niemand begriff so ganz, worauf Landwehr jetzt schon wieder hinaus wollte.
"Wer fliegt das Schiff? Wer steckt voller Visionen? Wo schlägt das Herz und tobt die Leidenschaft? Man hat euch zu Maschinenbedienern ausgebildet. Ihr könnt blitzschnell komplexe Bildschirmanzeigen erfassen, könnt weiß auf schwarz über den Schirm rasende Zahlenkolonnen beobachten und drei Dutzend Anzeigen gleichzeitig im Blick behalten. Ihr habt gelernt, exakt zu denken wie jede dieser Maschinen. Doch eines hat so mancher von uns vergessen: Wir sind nicht die Diener der Maschinen. Es sind nicht die Maschinen, welche den Weltraum erobern, sondern wir! Es sind nicht die Autopiloten, die das Schiff fliegen, sondern ihr! Die Maschinen sind nur eure Gehilfen. Pah, Lüftungsanlage defekt, Richtlinien defekt! Das Raumschiff eiert in der Nähe einer Sonne herum und ist gerade dabei, Wasserstoff zu tanken. Wer kann in solch einer Situation rauchen und wenn es nur im Casino wäre? Im Weltraum stehen wir so auf der Kippe, dass jede noch so unwahrscheinliche Unwahrscheinlichkeit, wenn sie geschieht, uns töten kann. Und darum dürfen wir gar nicht erst zulassen, dass sie eintritt! Verstanden?"
Ich weiß, wissenschaftlich gesehen ist meine Datenmenge noch recht gering, um Schlussfolgerungen zu ziehen. Aber ich bin doch aufgrund jahrelanger Avocado-Beobachtung zu dem Schluss gekommen, dass sie "Herdentiere" sind. Irgendwie kommunizieren sie miteinander und stimmen sich ab!
Ich habe folgende Beobachtungen gemacht:
1.) Ein einzelner Avocado-Kern keimt nicht. Ich pflanze "immer" (zwei Mal...) drei Kerne zusammen in einen Topf, dann klappt es zu 100%. Ich hatte nun über ein Jahr lang einen Avocado-Kern alleine in einem Topf und da kam nichts. Nun hatte ich die Wahl, ihn entweder wegzuwerfen oder... ihn neben die "Großen" zu stellen. Ich entschied mich für letzteres. Innerhalb von zehn Tagen platzte der Kern und nun ist der Keimling schon zwei Zentimeter hoch.
2.) Als ich die drei Kerne zusammen einpflanzte, dauerte es beim ersten Versuch mehr als ein halbes Jahr, bis die drei wuchsen. Sobald aber der erste Spross nach oben schoss, folgten innerhalb weniger Tage die anderen beiden.
3.) Sie stimmen ihre Wachstumsgeschwindigkeit aufeinander ab! Der der zuerst gekeimt war, bleibt immer der größte, der andere ist mittelhoch und der dritte bleibt mickrig. Die größeren behalten dann auch nur ihre obersten Blätter und werfen alle ab, die auf Höhe des nächstniedrigen Baums sind. Es ist aber nicht so, dass sie grundsätzlich bei Berührung ihre Blätter abwerfen, denn der kleine Baum kuschelt sich gerade an mein Sofa (stützt sich dort gerade zu ab, aber mit vollem Laub) und der mittlere rangelt mit einem Monsterkaktus um den Luftraum. Und kaum ist mein Winzling frisch gekeimt, werfen die Großen weitere Blätter ab. Um ihm Luft und Licht bereitzustellen?
Wenn ich mit meinen Beobachtungen Recht habe, dann wäre das - zumindest für mich als Laien - eine revolutionäre Sache. Kooperatives Verhalten unter Pflanzen! Das wirft doch das Bild über den Haufen, dass in der Natur gnadenloser Konkurrenzkampf herrscht. Und wie diese Kommunikation funktioniert, würde mich auch sehr interessieren. Bis ins Nachbarzimmer reicht der Funkkontakt offensichtlich nicht. Ich hätte Lust, ein paar Pflanzenversuche durchzuführen... Ganz behutsam. Also nicht in dem Stil von "Ich verbrenne einen Baum und sehe mal, ob die anderen schreien" (Ähnliche Experimente hat es schon gegeben, und es wurde tatsächlich "Mitgefühl" gemessen.)
Übrigens würde ich die Avocado-Bäume nicht miteinander verflechten, wie das allgemein üblich ist. Ich stelle mir vor, dass ihnen das weh tun muss. Ich glaube eher, dass ich sie in meinem Töpfchen zu eng gepflanzt habe: Ihre Kronen suchen den Abstand voneinander, weshalb auch nur der größte von ihnen wirklich gerade nach oben wächst.
"Der Mensch ist - offensichtlich durch seine Sonderstellung - dazu in der Lage, diese Harmonie [des Universums] zu stören, wann immer es ihm beliebt."
aus: Chao-Hsiu Chen: "Feng Shui der Seele - Das Geheimnis von Partnerschaft & Körpersprache", Ullstein, 2005
Ich machte mal wieder eine Reise und ich schmunzle noch immer. Da ich niemanden persönlich kränken will, verschweige ich, in welcher Stadt mir Folgendes untergekommen ist:
Ich hatte noch eine Viertelstunde bis Abfahrt des Zuges, also stöberte ich im Bahnhofskiosk, u.a. in der Krustelkiste davor. Darin befanden sich auch große flache Pappkartons mit bunten Bildern von Sängern vorne drauf.
"Seltsam", dachte ich, "das sieht aus wie Plattenhüllen. Was wohl drin ist?"
Zwischen zwei Pappkartons entdeckte ich... tatsächlich Schallplatten! So etwas gibt es? Ich hatte gerüchteweise gehört, dass in diesem Bundesland die Uhren anders gehen, aber dass man hier gleich eine Zeitreise macht, das fühlte sich bizarr an. Wie sind die Schallplatten überhaupt dort hingekommen? Diese Antiquitäten waren garantiert älter als der Bahnhof und der Kiosk, sind also keine Überbleibsel mehr aus den 80ern, die nur die ganze Zeit niemand aufgeräumt hätte.
"I´ve heard about boredom but I´ve never had a chance to try it."
"It´s dreadful."
"If it comes to that, excitement isn´t all it´s cracked up to me."
aus: Terry Pratchett: "Mort"
übersetzt:
"Ich habe schonmal von Langeweile gehört, hatte aber noch keine Gelegenheit, sie auszuprobieren."
"Es ist schrecklich."
"Was das angeht: Aufregung erfüllt auch nicht alle meine Erwartungen."
"Das globale Dorf ist kein idyllischer Ort."
Ulrich Hempel, Medienunternehmer, während einer Tagung zum 100. Geburtstag des Medientheoretikers Marshall McLuhan; zitiert nach Bonner General-Anzeiger vom 26. Juli 2011
Zum Glück habe ich es nicht so mit Horrorfilmen. Man gruselt sich dann nicht so leicht, weil man es nie gelernt hat.
Neulich erlebte ich folgende bizarre Situation:
Bahnhof irgendwo im dichten Schwarzwald. Direkt neben den Schienen ragt eine mit Beton, Metallnägeln und Haarnetz gebändigte Felswand steil in den Himmel und kegelt hin und wieder spielerisch ein Kieselsteinchen herunter. Winzige Nadelbäume klammern ihre spitzen Fingerchen in die Spalten im Stein und recken ihre Zweige unter dem Netz.
Der Himmel hat sich grau überzogen und es regnet in Strömen, auf dem Bahnhofsvorplatz tanzen tausende Regentropfen in den endlosen Pfützen. Das indische Ehepaar redet auf die schläfrige Tochter ein. Die Durchsage in zerkratztem Badisch verkündet eine wetterbedingte Verspätung des Interregio-Expresses. Die Indianerin fragt ihre lateinamerikanische Begleiterin mit dem feuchten Regenschirm, ob sie das "Aleman" verstanden habe. "Diez minutos" übersetzt diese und ich verziehe mich in den Wartesaal. Dort heizen sie mitten im Sommer. Ich glaube nicht, ob das junge Mädchen und der alte Mann, die sich möglichst weit auseinander gesetzt haben, auch auf den Zug warten.
Plötzlich kracht ein Blitz und man meint, im Aufflackern des grellen Lichtes die Erde beben zu spüren.
"Wir sind Götter und Dämonen" zitiert der Mann starr vor sich hinlachend. "Wesen aus anderen Dimensionen..."
Ich frage ihn, ob er dies für den Weltuntergang halte, doch er antwortet nicht, sondern wiederholt seinen Spruch und lacht wieder. Mehr gibt es dazu wohl nicht zu sagen.
Pünktlich mit 10 Minuten Verspätung erscheint der Zug und zwingt eine frierende Familie zum Aussteigen. Wir dürfen einsteigen und damit den Ausflug ins urige deutsche Hinterland beenden.