Luisa traf Landwehr im Trainingsraum, wo er Hanteln stemmte.
"Und der Fuß?" fragte Luisa.
"Besser als vorher, kein Schmerz mehr. Und wo tut´s Ihnen weh?"
"Ich weiß nicht, vielleicht bin ich überempfindlich." Sie setzte sich in das Gerät neben ihm und begann mit dem Rudern. "Jedes Mal wenn ich einen Bericht schreibe oder einen Verbesserungsvorschlag einreiche, fragt der Käpt´n mich dasselbe."
"Und was?"
"Mit wem ich das geschrieben habe."
"Und?"
"Ich sag´s ihm. Und dann ist er zufrieden. So scheiße zufrieden, als würde es ihn freuen herauszufinden, dass ich das doch nicht selbst geschrieben habe."
"Und? Haben Sie?"
"Natürlich. Ich habe nur die anderen konsultiert, weil der Käpt´n sagte, ich solle noch jemanden drüber sehen lassen, der sich damit auskennt, bevor ich es ihm zeige."
"Und? Haben Sie den Experten gebraucht?"
"Nö, die interessiert das nicht die Bohne, denen bin ich lästig. Die geben meistens bloß ihr Ok, ohne auch nur richtig drauf zu sehen."
"Sie verstehen natürlich, was da gespielt wird, oder?"
"Natürlich, aber wie komm ich da raus??? Ich kann mich doch nicht den Anordnungen meines Vorgesetzten widersetzen! Und am Ende stehe ich nicht nur vor ihm wie jemand da, die nichts alleine schreiben kann, sondern die anderen halten mich ja auch schon für komplett unselbständig. Warum darf ich nie etwas alleine schreiben?"
"Fragen Sie ihn das, nicht mich. Abgesehen davon: Sie wissen es schon."
"Ja, ich habe ihn gefragt." Sie biss die Lippen aufeinander.
"Und?"
"Antwort war: Weil Sie doch noch nie etwas alleine hingekriegt haben. Ist er irre oder ich?"
"Nö, ganz normaler Machismus."
"Aber wie komm ich da raus?"
"Keine Ahnung. Kennen Sie eine Frau, die es geschafft hat?"
"Sie meinen, die anderen dürfen auch nichts alleine schreiben?"
"Kennen Sie eine?"
Luisa grübelte. "Dr. Song."
"Und nimmt der Käptn ernst, was sie schreibt?"
"Selbstmord ist also der einzige Ausweg?"
"Könnte sein. Sie wissen doch auch, dass wenn der Käptn Sie für blöd halten will, hat er die Macht, Sie in die Rolle reinzudrängen."
"Jeder hat die Macht, das zu tun!" Sie ruderte schneller.
"Falls Ihnen ein wenig nutzlose Soldarität hilft, bringen Sie das nächste Mal ihr Pamphlet zu mir. Falls es gut ist, bestätige ich Ihnen das handschriftlich mit 'perfekt, keine Änderung nötig'. Landwehr."
"Sie glauben, das hilft?"
"Natürlich nicht! Eher würde der Käptn an ein Komplott glauben."
"Was glauben Sie, was eine Geschlechtsumwandlung kostet?"
"Für Sie oder für den Käptn?" sagte Landwehr trocken.
Luisa stutzte. Dann lachte sie. "Ich wusste gar nicht, dass Sie Humor haben", prustete sie, und die Ruder glitten ihr aus der Hand.
Landwehr zog die Augenbrauen hoch. "Mein Vorschlag ging nicht in die Richtung, dass Sie die Operation selbst vornehmen sollten, das können Sie mir hinterher nicht in die Schuhe schieben. Bei dieser Sache sollten Sie wirklich einen Experten konsultieren."
Luisa kreischte, beugte sich nach vorne auf ihre Knie, um nicht aus dem Gerät zu fallen. "Danke", prustete sie. "Herzlichen Dank für diesen Tipp. Ich werde drüber nachdenken."
"Aber im Ernst. Für Sie ist es zu spät. Wenn Sie sich nun umwandeln lassen würden, würde er Sie dann eben wie eine inkompetente Schwuchtel behandeln. Sie brauchen einen neuen Kapitän. Nicht jetzt sofort, aber irgendwann wechselt jeder mal das Schiff."
Luisa wischte sich die Tränen von den Augen. "Ich komm nochmal auf Sie zu wegen der Unterschrift. Auch wenn mich nichts retten kann, brauche ich das Gefühl, ich habe mich gewehrt."
"Tja", machte Landwehr. "Sie sind eben noch sehr jung."
"Ich kann nicht mehr trainieren, ich brauche jetzt eine kalte Dusche. Ihnen noch gute Besserung!"
"Ja, Ihnen auch."
Nicht dass ihr denkt, alles was ich schreibe, sei ein wenig SF-Klamauk. Der fällt so nebenbei an. Nein, ich arbeite auch ernsthaft an meinem Fantasy-Roman über eine Ritterin namens Mona. Insbesondere seitdem ich einige andere (trockenere) Schreibprojekte abgeschlossen habe. Neulich wurde die Kapitelliste von meiner Mentorin nochmal richtig durchgenudelt. Aua, tat das weh!
Heute Morgen küsste mich die Muse. Nachdem ich von 4 bis 5 wach gelegen hatte, wurde mir klar, dass ich nicht wieder einschlafen würde. Also stand ich auf und verbrachte den gesamten Morgen in Mahagoni. Ich habe den gesamten Entwurf (Szenenabfolge des Romans) nochmal durcheinander gewürfelt, indem ich mich für einen anderen Masterplot entschieden habe. Vielleicht interessiert es ja jemanden...
Bisher folgte der Roman dem Suche-Plot, bzw. ich versuchte, ihn in dieses Schema zu pressen. Dass meine Heldin sich anfangs weigert, ihre große Aufgabe anzunehmen, das ließ ich mir ja noch gefallen, aber dass sie dauernd versagen soll, das wurde mir dann doch zu schmerzhaft. Und Schmerzen halte ich für ein Zeichen dafür, dass irgendetwas nicht stimmt.
Ich bin also nochmal in mich gegangen und habe beschlossen, dass der Suche-Plot doch nicht passt. Was ich mit dem Roman darstellen will, ist eine Metamorphose. In dem Roman prallen zwei Welten und Wertesysteme aufeinander: das rücksichtslose Recht des Stärkeren versus Vertrauen/ Gemeinwohl/ Freundlichkeit. Der böse Hagen hat mit seinem Verrat sowohl Mona als auch Johannes mit einem bösen Fluch belegt, aus dem sich beide nun, sieben Jahre später, gegenseitig erlösen bzw. die Liebe erlöst sie.
Ich finde es spannend, wie die Wahl des Plots den Handlungsverlauf beeinflusst. Ich habe anfangs einige Kapitel streichen können, weil es jetzt eher auf eine schlüssige Entwicklung ankommt, statt Hin und Her, Versagen und Verzweiflung. Und Mona muss sich nicht so sehr zieren, nach Mahagoni zu gehen. Für sie ist es ein ganz normaler Auftrag.
Sie ahnt vage, dass er etwas schwieriger wird, aber nicht, dass
sie völlig verändert wiederkehren wird.
Die Handlung des Romans wäre auch geeignet für den Rettung-Plot
(die Heldin Mona rettet den armen Johannes, der in seinem eigenen Königreich gefangen gehalten wird), Rache-Plot (Mona kehrt zurück und macht Hagen platt), Liebe-Plot oder Rivalitäts-Plot (Mona rivalisiert mit Alexander um die Führung der Mission, oder Mona rivalisiert mit Hagen um Johannes´ Vertrauen).
Aber die Metamorphose passt zu dem, was ich mit dem Roman
ausdrücken will, am besten. Es geht mir immer noch um
unterschiedliche moralische Wertesysteme. Und weil Mona
auf dem falschen Weg ist, kann sie gar keine Erretterin,
Rächerin oder überlegene Rivalin sein. Das könnte sie dann
im nächsten Band tun. :-)
Ich denke, jetzt ist der Roman viel schlüssiger geworden.
Nur so als Zwischenstand. Ich lasse mir das noch durch
den Kopf gehen. U.a. hat der Roman jetzt über 50 Kapitel,
was mir furchtbar viel vorkommt.
Landwehr saß in der Kantine, den einbandagierten Fuß auf einem Stuhl, neben sich einen Kaffee, und las im Flottenhandbuch.
"Spannend?" fragte Luisa. "Was glauben Sie, wie es ausgeht?"
Landwehr blickte zu ihr auf. "Am Ende werden die Bösen geschnappt und die Guten belohnt, was denn sonst?" Er schlug das Buch zu, wobei er eine Visitenkarte als Buchzeichen verwendete. "Setz dich. Und was kann ich für dich tun?"
"Ich?" fragte sie irritiert und nahm sich einen Stuhl auf der anderen Seite des Tischs. "Ich wollte nur freundlich sein."
"Hm." Er sah sie an. "Ich will ja nicht sagen, dass du nur zu mir kommst, wenn du etwas brauchst, aber gerade heute scheinst du eine Frage auf dem Herzen zu haben."
Sie blickte auf ihre Hände. Kräftige Hände mit kurzen, rosa lackierten Nägeln. "Sie haben doch so viel Menschenkenntnis", begann sie.
"Hab ich das?" fragte er erstaunt und hob die Augenbrauen. "Und das, wo ich Menschen nicht ausstehen kann?"
Luisa kam aus dem Konzept und räusperte sich. "Ich wollte nur fragen, was Sie von Amaretti halten."
"Dem hübschen Italiener?" hakte er nach.
Sie nickte und sah weiterhin auf ihre Hände.
"Und für welche Entscheidung brauchst du meine Meinung?"
"Nichts, nur..."
"Ach", machte er ungeduldig. "Raus damit."
"Vielleicht ist ja nichts, vielleicht will er wirklich nur einen Kaffee
mit mir trinken und eine Runde mit mir schwimmen..."
"Dachte ich mir, dass es darum geht. Du kannst die Verantwortung für deine Entscheidungen nicht auf andere abwälzen."
"Will ich ja nicht!" empörte sie sich. "Ich dachte nur, wenn ich eine objektive Meinung höre..."
"Niemand ist objektiv. Ich kann ihn nicht leiden. Ein Egozentriker, wenn Sie mich fragen. Kein Team Player."
"Sie würden also Ihrer Tochter davon abraten..."
Er knurrte. "Ich würde meine Tochter ihre eigenen Fehler machen lassen. Hast du denn aus deinen Fehlern nichts gelernt?"
"Doch", sagte sie leise. "Dass ich keine Menschenkenntnis habe, habe ich gelernt."
"Ja, sicher. Und deshalb schmeißet du dich dem erstbesten Typen an den Hals, der dich fragt?"
"Stimmt doch gar nicht!"
"Mäuschen", erklärte Landwehr ihr und beugte sich über den Tisch.
"Du würdest mich überhaupt nicht erst fragen, wenn du dir sicher wärst."
Sie wandte den Blick ab und ließ ihn durch den leeren Saal schweifen. "Stimmt", gab sie kleinlaut zu. "Aber ich dachte, es liegt nur an mir, dass ich mich unwohl dabei fühle. Weil ich nun einen Knacks habe. Oder noch nicht so weit bin."
Landwehr knurrte wieder. "Mach es nicht so kompliziert. Du hast kein gutes Gefühl dabei. Und wenn du noch nicht so weit bist, bist du nicht so weit. Und wenn er der Richtige ist, fragt er nochmal wieder." Er blickte auf die Uhr. "Drei Monate dauert es, um sich von sowas zu erholen. Die sind noch nicht um. Sag ihm, er soll in vier Wochen wiederkommen. Falls du bereit bist, auf einen väterlichen Rat zu hören."
"Natürlich. Ich vertraue Ihrer Menschenkenntnis."
"Ich habe keine und vielleicht vermassel ich dem Kerl nur darum die Tour, weil ich neidisch auf sein schönes Gesicht bin?"
"Würden Sie nicht."
Er lachte. "Wenn du meinst. Und sag keinem, dass du den Rat von mir hast. Nicht dass die anderen auch Tipps von mir wollen."
"Sie haben ja schon Krasowski."
"Ja, ein guter Junge."
"Würde der zu mir passen?"
Er warf sich im Stuhl zurück, nahm sein Buch wieder auf und knurrte: "Mach doch, was du willst."
Wie schon bei der vorigen Operation so zeigte sich auch dieses Mal wieder: Es war nicht die Wunde, die schmerzte, sondern der Verband. Dieser hatte sich über die ganze Breite des Nagelbetts saftig vollgesogen mit Blut und Desinfektionsmittel und war dann zu einer Kruste getrocknet.
Am Abend wollte Landwehr sich seinen kleinen Freund näher ansehen und pellte eine Schicht Stoff nach der anderen ab. Zu guter Letzt musste Landwehr erfahren, dass er schon gar nicht mehr richtig gewusst hatte, was echter Schmerz ist. Während er mikrometerweise den starren, rotbraunen Stoff von seinem Nagelbett puhlte und sich auf eine regelmäßige Atmung konzentrierte, fragte er sich, wann er das letzte Mal so etwas gespürt hatte: pointiert stechender Schmerz wie von einer sehr spitzen Nadel, Reißen und Brennen als würde man ihm beim lebendigen Leib die Haut abziehen.
Auch das konnte er selbst. Draußen im Weltall würde er das nächste Mal gleich selbst operieren. Ohne Wartezeit.
Während der Arzt Landwehr die beiden Spritzen tiiief in den Zeh hinein bohrte, grübelte Landwehr darüber nach, um was für eine unnatürliche Situation es sich hierbei handelte. Instinktiv würde man doch jemanden, der einen in den Fuß stach, mit einem gezielten Faustschlag zu Boden schlagen. Stattdessen ließ er sich weh tun von einem Fremden. Tja, so funktionierte die menschliche Gesellschaft.
Die Operation selbst war in fünf Handgriffen erledigt. Der Arzt nahm etwas, das aussah wie eine Büroschere und hatte schnipp-schnapp den Nagel komplett entfernt. Und wieder fragte Landwehr sich, ob er das nicht auch selbst hinbekommen hätte.
Für eine Woche krank geschrieben und er sollte jeden Tag zum Verbandwechseln kommen. War das nicht etwas übertrieben? Nachdem die Betäubung nachgelassen hatte, war er zwar nicht bereit, Schmerzmittel zu schlucken, aber doch immerhin einzusehen, dass ein Patrouillengang gerade nicht die richtige Tätigkeit für ihn war.
Ernst oder psychologische Kriegsführung? Bevor er zum Arzt durfte,
musste Landwehr in den Rötgenraum. Man wollte sehen, ob die
Entzündung schon auf den Knochen übergegriffen hatte.
"Hm", meinte Landwehr, "tatsächlich geht der Schmerz ziemlich
tief rein!" Und schon wieder turnte das Wörtchen 'Amputation'
vor seinem inneren Auge vorbei.
Der "Schlächter" warf einen knurrigen Blick auf den nackten Fuß von Landwehr, murrte etwas von: "Das ist aber nicht erst seit gestern so!"
Dann zupfte er mit einer spitzen Pinzette Fleischstückchen aus dem Zeh und unter dem Nagel heraus wie ein hungriger Raubvogel. Ohne Betäubung, wohlgemerkt.
"Das tut übrigens weh", stellte Landwehr sachlich fest.
"Ich weiß."
"Na, ich sag´s ja nur für den Fall, dass Sie glauben, der Fuß sei
schon komplett gestorben. Der riecht nur so."
"Ihre Operation war schon Mitte Juni? Und was haben Sie in der
Zwischenzeit mit diesem Fuß gemacht?"
"Also, das war so..."
"Morgen werden Sie behandelt."
"Und was heißt das?"
"Der Zehnagel muss weg." Mehr wollte der Champion der Pinzetten und Macheten nicht verraten. Vielleicht wusste er es selbst noch nicht, sondern wollte erst abwarten, welche Dämonen unter dem Zehnagel hausten und was das Rötgenbild ergab.
"Kommen Sie gleich um acht. Und hier ist Ihre Krankmeldung für den Rest der Woche."
Landwehr nickte. Warum nicht gleich so?
Als man ihm Schmerztabletten schenkte, zuckte es amüsiert in
seinem Mundwinkel. Er hatte monatelang diese Schmerzen ertragen und selbst das Herumzupfen des Herrn Doktor hatte ihn nur unwesentlich verschlimmert. Er würde wegen sowas nicht mit Drogen anfangen. Trotzdem erinnerte er sich daran, was sie gehört, wenn man Bonbons geschenkt bekommt, und bedankte sich.
Morgen also war der Tag der Wahrheit, an dem ans Licht kam,
was lange im Verborgenen köchelte und täglich Eiter und Blut
aussonderte. Landwehr kannte dieses geheimnisvolle Etwas
nur als schwarz-weißen Flecken hinter dem Milchglas des
Zehnagels.
Wenn Landwehr allein in seinem Bett lag und ins Dunkel starrte, bis er lauter kleine grüne Galaxien sah, da gab er vor sich selbst zu: Nein, er konnte sich nicht selbst operieren, und das störte ihn. Ausnahmsweise hing er von anderen ab. Er musste ihnen vertrauen und darauf hoffen, dass sie das Beste taten. Und das konnte er nicht. Er hasste es, dass so viel von ihnen abhing und er so hilflos war.
Diesem Burschen fehlte offensichtlich der Schneid. Als Landwehr seien Fuß entblößte mit dem humorigen Kommentar: "Mission accompished, zu schützendes Objekt ist abgeschwollen", warf der Orthopäde einen angewiderten Blick auf die knollenförmige Zehe und tastete ratlos mit Fingerspitzen an ihren sauberen Stellen herum. Offensichtlich hatte sich die Entzündung zurück gezogen, denn der Zeh hatte die Farbe von rosafarbener Haut angenommen und auch wieder die normale Temperatur. Trotzdem war und blieb er dick und knubbelig.
"Und?" fragte Landwehr stolz auf sich und hoffnungsfroh. "Wann ist Schlachtfest, also Operation?"
Der Arzt zuckte und murmelte: "Wir müssen erstmal Wundsalbe drauf tun, dann zieht sich das Wundgewebe zurück."
"Nee, das zieht sich nicht zurück. Haben Sie den Bericht nicht gelesen? Das muss operiert werden, der ganze Nagel fort und auch das Nagelbett."
Hastig nuschelte der Mann in Weiß: "Müssen wir mal sehen, vielleicht kerben wir nur den Nagel ein wenig ein."
Bevor Landwehr widersprechen konnte, ließ ihn der Herr Doktor allein mit der Gehilfin, die ihm noch eine Tetanusimpfung in den Hintern jagte. Er durfte sich auf Freitag einen neuen Termin geben lassen.
Diese Bummelei machte Landwehr nervös. Da hatte man mitten in der Operation abgebrochen, weil man sich mehr Zeit für die Schnippelei nehmen musste, und er wurde mit Wundsalben abgespeist. Traute sich dieser junge Mann die Operation überhaupt zu? Hatte er schonmal jemanden operiert? Hatte er überhaupt den Bericht gelesen oder ihn nicht doch verdächtig schnell wieder auf den Tisch gelegt? Hatte er ihn vielleicht sogar wie ein Analphabet nur kurz vors Gesicht gehalten?
Landwehr hatte sämtliches Vertrauen verloren in diesen Menschen, der offensichtlich nach ständig neuen Ausreden suchte, um die ohnehin notwendige Operation hinaus zu schieben. Er sollte sich einen echten Schlächter suchen, jemanden, der täglich mehrere Menschen filetierte und für den es eine nette kleine Abwechslung wäre, mal nur einen Zeh auseinander zu nehmen. Etwas, das man erledigte, wenn man zwischen zwei halbtägigen OPs noch einen kurzen Zeitslot übrig hatte für niedliche, filigrane Fingerübungen.
Für Landwehr war es eine schreckliche Übung, seinen Fuß zu schonen. Natürlich versah er trotzdem seinen Dienst, der ohnehin größtenteils im Sitzen stattfand. Er nutzte die erzwungene Nichtsportlichkeit seiner Freizeit, um seine Unterlagen und seine Post in Ordnung zu bringen, den kranken Fuß auf einen umgestülpten Papierkorb gelegt.
Eine Woche war seine erste Operation nun schon her und die finale ließ auf sich warten. Als er am Mittwoch beim Arzt den nackten Zeh auf die Liege stellte, entfuhr diesem: "Oh mein Gott, was ist das denn?"
Landwehr erklärte es ihm.
"Nein", entschied der Arzt energisch. "So etwas operiere ich nicht,
erst muss die Entzündung weg! Kühlen, kein Wasser dran lassen,
hoch legen, Salbe drauf, Verband täglich wechseln. Und Sie kommen wieder..." Er rechnete, da Donnerstag ein Feiertag war... "Montag".
"Aber das ist ja eine halbe Woche!" entfuhr es Landwehr.
Der Arzt zuckte die Schultern. "Vorher kann ich nichts für Sie tun.
Sorgen Sie dafür, dass die Entzündung abklingt."
Mit diesen Worten verschwand der Arzt in die Mittagspause und ließ Landwehr mit seinem Problem allein. Ärzte, pah! Waren sie nicht alle gleich?? Wenn man mal ausnahmsweise einen um Hilfe bittet...
Die letzten Tage hatte Landwehr sich also geschont, denn ihm war klar, wenn die Entzündung nicht zurück ging, würde der Arzt den Zeh einfach amputieren. Auch wenn der Offizier nicht zu Sentimentalität neigte, machte es für ihn einen Unterschied, ob er seinen großen Zeh behielt oder verlor.
Was ihn so ärgerte war, dass sich die Entzündung ja erst nach der Operation so verschlimmert hatte, nämlich weil der Fuß tagelang in einem warmen, von Blut feuchten Verband gesteckt hatte. Warm und feucht, das hatte bisher immer zu einer üblen Verschlimmerung geführt. Aber ohne Verband ging es nicht, weil die Wunde heftig blutete, daumendicke Bindenschichten wurden rot.
Diese Antibiotika, die er eine Woche zuvor genommen hatte (nur zwei statt drei Tage), hatten einen Durchfall verursacht, der nachhaltiger anhielt als alles, was die Kantine bisher zustande gebracht hatte.
Landwehr fragte sich, wozu er überhaupt einen Arzt zu Rate gezogen hatte. Die Salbe hatte er ohnehin vorher in der Apotheke besorgt, die Pflaster und das Verbandsmaterial musste er selbst bezahlen und eine Operation hätte er auch noch eigenhändig hinbekommen.
Die Future legte am Planeten Milan-29 an, um innerhalb von vier Wochen einige Wartungsarbeiten durchführen zu lassen. Landwehr hatte nur auf diese Gelegenheit gewartet, um seinen Fuß instand setzen zu lassen. Seit Monaten ertrug er tapfer eine Nagelbettentzündung. Er wusste, dies musste operiert werden und damit wollte er sich nicht in Dr. Songs Hände begeben. Schließlich war sie Zivilistin.
Er begab sich ins Militärkrankenhaus, Samstag hatte er dienstfrei. Er stellte fest, dass Wochenende nur die Notaufnahme besetzt war. Also stapfte er dort hinein. Er kam sofort dran, die junge Ärztin mit dem blonden Pferdeschwanz interessierte sich sehr für die Geschwüre, die sich dort gebildet hatten.
"Und mit sowas kommen Sie erst jetzt?"
"War im All unterwegs", erklärte er knapp.
"Das machen wir schnell", beschloss sie beschwingt.
Landwehr beeindruckten ihr Elan und Selbstvertrauen, denn eine Kleinigkeit war das nun nicht gerade. Aber er hatte etwas übrig für tatkräftige Menschen.
Er erhielt eine Spritze in den Zeh und die junge Frau packte die Messerchen auf den Tisch neben seiner Liege. Sie begann mit dem Gemetzel und Landwehr betrachtete die weiße Zimmerdecke. Er fühlte es zupfen und rupfen, schließlich ein "Ach, du liebe Güte". Er blickte nach unten und sah wie die Ärztin seinen Zehnagel unsanft nach hinten geklappt hatte und fassungslos darunter starrte. Ja, er wusste, dass da etwas wuchs, auf der vollen Breite des Nagels. Hätte sie ihn gefragt, so hätte er es ihr sagen können. Schließlich hatte er die Krankheit seit Monaten unter täglicher Beobachtung gehalten.
"Da muss man eine richtige, große Operation machen", entschied sie. Wieso richtig? War das hier nicht richtig?? Und was bedeutete "groß"? Amputation des gesamten vorderen Gelenks? Aus der Menge an frischem hellrotem Blut zu schließen, die sie vergossen hatte, war der halbe Zeh ja schon ab.
Dicke weiße, flauschige Tücher wurden auf einen Zeh gepresst, mehrere Zentimeter dick, und dann noch mit einer Binde fest gewickelt. Landwehr durfte gehen. Er solle sich einen Operationstermin entweder hier im Krankenhaus oder bei einem Orthopäden holen. Sie riet ihm zum Orthopäden, denn dort würde er schneller einen Termin bekommen. Sein Bauchgefühl sagte ihm aber eher, dass sie nicht wollte, dass ihre Kollegen im Haus von ihrem voreiligen Gemetzel mitbekamen. Sie belud ihn noch mit Verbandsmaterial, das über das Wochenende reichen sollte. Notdürftig bekam er die vordere Hälfte seines bandagierten Fußes in den Schuh zurück und humpelte davon.
Am Nachmittag hatte er immer noch dienstfrei und war froh darüber, denn er bekam leichtes Fieber und konnte sich kaum auf die Fachliteratur konzentrieren, die er sich für diesen Tag vorgenommen hatte. Er meldete sich bei sich selbst krank und sah stattdessen einen Spielfilm an.
Sonntag war Landwehr wieder auf Wache. Der Fuß brannte nicht stärker als zuvor. Beim Wechseln des Verbands hatte er festgestellt, dass die junge Frau trotz des großen Brimboriums mit Spritzen und mehreren Skalpellen sowie dem großartigen Blutvergießen fast gar nichts gemacht hatte. Alles nur Show. Der Zehnagel war noch vorhanden sowie das Geschwür. Nur die obere Schicht, die abgestorbene Hornhaut, hatte sie abgeschnitten. Das hätte er auch nach gutem Einweichen mit einer Nagelschere hinbekommen!
Montag waren dann endlich auch die Ärzte wieder auf dem Posten. Er rief den ersten Orthopäden an, doch der Anrufbeantworter verkündete Urlaub. Die Urlaubsvertretung war auch unerreichbar wegen Fortbildung. Der dritte Orthopäde vergab nicht so einfach Operationstermine, da müsse man erstmal draufsehen. Er könne einen Termin morgen früh erhalten oder nächste Woche. Nächste Woche? Bis dahin war die erste Operation ja schon verheilt! Morgen früh ging nicht, da war eine Besprechung.
Also fuhr er wieder ins Krankenhaus. Zog sich eine Nummer für die Patientenaufnahme. Als er endlich dran kam, stellte es sich heraus, er war hier falsch. Er musste in den ersten Stock zur ambulanten Chirurgie. Da er nicht gleich einen Aufzug fand, stieg er zu Fuß hoch. Dort stand alles mögliche auf den Wegweisern, nur keine ambulanten Chirurgie. Aber er bemerkte dann, dass er sich im Erdgeschoss befand und es außerdem Aufzüge gab. An den Aufzügen stand: "Bitte die Personenaufzüge gegenüber benutzen."
Gegenüber war allerdings der Wegweiser, der ihn darauf hinwies, dass er im falschen Stockwerk war. Also stieg er noch eine Etage nach oben. Dort stand auf den Wegweisern alles mögliche, nur nicht ambulanten Chirurgie. Die fand er erst, nachdem er aufs Geradewohl nach rechts abgebogen war, weil links die Operationssäle lagen. Dort kam er sofort dran, allerdings nur um zu erfahren, dass erst zu einem Orthopäden gehen müsse und sich gegebenenfalls eine Überweisung geben lassen müsse. Falls er hierher zurück wollte.
Also zog er wieder ab und wollte den Orthopäden anrufen, um ihm mitzuteilen, er habe bisher kein besseres Angebot bekommen und nähme den Termin morgen früh gerne an. Allerdings hatte er wohl übers Wochenende vergessen sein Handy auszuschalten oder zu laden. Solche Vergesslichkeit kannte er gar nicht an sich! Der Akku war leer. Schnell fuhr Landwehr zum Raumschiff zurück und schnappte sich das erstbeste Telefon. Er rief an, beim Orthopäden nahm man ab, aber leider konnten die ihn nicht hören und legten wieder auf. Er eilte zum nächsten Telefon. Nein, der Termin morgen früh sei schon weg. Er holte tief Atem, um einem Wutanfall Luft zu machen, aber die junge Frau lenkte ein und gab ihm einen Termin am Mittwoch um die Mittagszeit. Er nahm ihn an, weil er ahnte, dass er noch Glück gehabt hatte.
Im Kopf rechnete er nach, dass er mit dem Verbandsmaterial sparsam umgehen musste. Er hatte Reserven von früheren Verletzungen in seinem persönlichen Medizinkasten. Er würde klar kommen, ohne Dr. Song behelligen zu müssen. Die sollte von seinem Problem nichts erfahren, denn sie würde ihn doch nur krank schreiben. Sie war eben Zivilistin.
Dialog zwischen Tizian und seinem Schüler:
"Aber Details sind doch wichtig, das, was sie bedeuten. Wie könnt Ihr sonst die Leute überzeugen, daß, was Ihr malt, Wirklichkeit ist?"
Tizian nickte. "Das glaubst du jetzt. Aber wenn du älter wirst, ändert sich das. Der große Maler ist ein Zauberer." Er sah Domenikus an. "Glaubst du Dante seine Beschreibung der Hölle?"
...
"Gut. Jetzt beobachte einmal morgen das Fest, und sag mir dann, ob es die Details sind, die ihm die besondere Stimmung geben, oder ob es nicht sein Zauber ist - die Atmosphäre, die du und ich und all die Leute mitbringen."
aus Donald Braider: "Das Licht im Innern"
"Wunderbar", stellte Dr. Song fest, nachdem Luisa den Sehtest erfolgreich bestanden hatte. "Keine bleibende Schäden am Augenlicht." Sie drehte sich auf dem niedrigen Tellerstühlchen flott herum und tippte den Befund in Luisas Krankenakte.
"Sie haben ihn nicht bestraft", stellte Luisa trocken fest. "Die Privatangelegenheiten der Mannschaft interessieren den Käptn nicht."
"Das würde ich auch so halten, glaub mir. Was denkst du, was für eine Petzerei los ginge, würde der Kapitän jeden Kadettenstreich beurteilen wollen?"
Luisa ballte die Fäuste auf ihren Knien und blickte zu Boden. "Ich weiß. Mein Problem."
"Hör mal", sagte Dr. Song, "ich mische mich ungern ein, aber du solltest den Kopf nicht so hängen lassen. Das macht unattraktiv."
"Ja", schnaubte Luisa. "Einsamkeit macht unattraktiv. Männer interessieren sich nur für Frauen, die entweder vergeben oder lesbisch sind. Oder beides."
"Na, na, das dauert wohl noch ein wenig bis die Narben am Herzchen verheilt sind!"
"So lange ich einen Freund hatte, da beleidigte mich nur ein einziger Mann und ich musste mich nur gegen einen einzigen verteidigen. Jetzt aber beleidigen mich alle und ich muss vor allen auf der Hut sein!"
Als Dr. Song den Mund öffnete, um etwas zu sagen, fuhr Luisa sie an: "Unterstehen Sie sich, mir über mangelndes Selbstbewusstsein oder so zu dozieren."
"Nein", erwiderte Dr. Song ruhig, "du hast Recht. Genau deshalb bin ich verheiratet." Sie hob die Hand mit dem Goldring. "Herr Song fliegt auf einem anderen Schiff und glaub mir, dass ich froh bin, dass wir uns nur alle zehn Jahre mal persönlich treffen."
"Gute Idee", erwiderte Luisa, "ich suche mir über das Internet eine Beziehung auf Distanz."
"Viel Glück", schmunzelte Dr. Song. "Aber ich wette, du hast auch hier auf dem Schiff jede Menge ehrlicher, zuverlässiger Verehrer, die dich gerne beschützen möchten."
"Und wer beschützt mich vor meinem Beschützer?"
"Warum hast du deinen Freund nie zurück geschlagen?"
Luisa zuckte zusammen und blickte dann zu Boden. Kleinlaut erwiderte sie: "Ich boxe gerne. Aber ihn konnte ich nicht schlagen."
"Eben. Such dir einen Mann, der dich gar nicht schlagen könnte, selbst wenn er müsste."
"Offizier Landwehr", fragte der Junge vom Kadettenradio, "worüber ärgern Sie sich am meisten?"
Landwehr schmunzelte. "Ich ärgere mich über ziemlich viel, das sollte bekannt sein. Das meiste lässt sich unter dem Begriff 'Disziplinlosigkeit' zusammenfassen. Disziplin bedeutet, sich an die Regeln der Dienstvorschriften und des Anstand zu halten und immer sein Bestes zu geben. Und zwar das Beste für die Gemeinschaft und nicht das Beste nur für sich selbst.
Lassen Sie mich kurz überlegen, worüber ich mich die letzten Tage aufgeregt habe, nur um Ihnen einige Beispiele zu geben.
Ein ehemaliger Kollege und ich, wir hatten einen Reisebericht geschrieben, der nun vor einem halben Jahr von einer Zeitschrift abgelehnt wurde - mit berechtigter Kritik. Ich habe dann zufällig erfahren, dass mein Mitautor denselben Artikel bei einer anderen Zeitschrift eingereicht hat. Ich kenne den Herausgeber, der hat es mir verraten, sonst hätte ich nicht davon erfahren. Nun muss ich aber Veröffentlichungen vor der Einreichung von meiner Dienststelle genehmigen lassen. Außerdem hätte ich gerne die Kritik des früheren Lektorats mit eingearbeitet. Ich schrieb meinem lieben Mitautor eine wütende E-Mail. Er antwortete, es täte ihm leid, blabla, viel Stress, etc. Er bot mir an, meinen Namen aus der Autorenliste zu streichen. Ausgezeichneter Vorschlag! Ich konterte mit der Lösung, dass ich als Privatperson veröffentliche und er mir das nächste Mal mehrere Wochen Vorlauf gäbe, um bei meinen Vorgesetzten die Freigabe einzuholen. Dann logge ich mich in einen anderen E-Mail-Account ein und stelle per automatischer Benachrichtigung fest, dass dieser Mensch NACH dem Erhalt meiner Protest-Mail einen anderen Artikel, den ich gar nicht kenne, mit mir als Mitautor woanders eingereicht hatte. Das schlägt doch dem Fass den Boden aus, oder? Mit manchen Leuten sollte man nicht zusammenarbeiten, die verspielen jegliches Vertrauen!
Wenn ich nun genau überlege, sind die anderen Ärgernisse der vorigen Wochen Kleinigkeiten dem gegenüber. Ich habe mich aber mal wieder gewundert, wie beliebt das Jammern ist. Manche Leute haben offensichtlich zu wenig echte Probleme."
"Vielen Dank, Herr Landwehr, für dieses Gespräch. Es war sehr...ähm... aufschlussreich."
Nach Ende der Nachtwache traf Offizier Landwehr den Käpt´n in der Offiziersmesse beim späten Frühstück. Der Kapitän hatte sich heißes Wasser aus dem Automaten gelassen und grübelte nun am Tisch sitzend nachdenklich über dem blauen Papieretikett des Teebeutels.
"Mor´n, Sir", grüßte Landwehr und setzte sich, als der Kapitän ihm zunickte.
"Sagn Se mal", fragte der Kapitän, "können Sie mir das hier erklären? Werde ich senil oder spinnt die Teefirma?"
Landwehr las laut vor: "Pro Tasse einen Früchtetee-Beutel immer mit sprudelnd kochendem Wasser aufgießen und mindestens 5 bis 8 Minuten ziehen lassen! Nur so erhalten Sie ein sicheres Lebensmittel!"
"Was denken Sie darüber?" fragte der Kapitän in das folgende Schweigen hinein.
Landwehr schmunzelte. "Diese Zivilisten scheinen unter 'Sicherheit' etwas anderes zu verstehen als unsereiner. Würden diese Sätze in einer Dienstanweisung stehen - zumal noch mit Ausrufezeichen - müsste man davon ausgehen, dass Explosionsgefahr besteht, wenn man den Tee weniger als 5 Minuten ziehen lässt."
"So klang das für mich auch", bestätigte der Kapitän irritiert. "Offensichtlich entwickeln sich bereits nach wenigen Jahren Raumfahrt die Sprache der Erde und die der Raumfahrer auseinander, wie man das stets bei Kolonisten beobachtet."
Landwehr grinste. "Scheint so."
Der Kapitän nahm ihm den Beutel wieder aus der Hand und las weiter: "Hibiskus, Äpfel, Hagebutten und so weiter. Ich denke, ich kann das Risiko eingehen, das Zeug ist vermutlich auch bei atmosphärischem Unterdruck nicht explosiv."
"Sicherheitshalber sollten Sie sich genau an die Zeitvorgaben halten, hihi."
Nun musste auch der Kapitän lachen und senkte todesmutig das transparente Beutelchen in das heiße Wasser, das sich sofort rot verfärbte.
Anmerkung: Die Teebeutel-Nutzungsanweisung habe ich wortwörtlich zitiert. Ich danke "Captain´s Tea" für diesen köstlichen Witz am frühen Morgen. Prost!
"Na siehst du, das heilt doch wunderbar", freute sich Dr. Song, als sie das große Pflaster aus Luisas Gesicht entfernte.
"Nur äußerlich", erwiderte Luisa mürrisch.
"Ja, die Gefühle brauchen etwas länger. Aber lass dich nicht irre machen. Irgendwann wirst du wieder lieben und wieder hoffen und wieder vertrauen."
"Aber wird mich denn jemand lieben? Bin ich denn überhaupt eine richtige Frau?"
"Natürlich bist du das!"
"Was ich meine: In meinem Beruf, da soll ich dauernd stark sein, konzentriert und diszipliniert. Ich muss nicht nur glauben, dass ich so gut bin wie die Jungs, sondern ich muss mich als Mann fühlen,
als einer von ihnen. Ich darf ihnen gegenüber weder schüchtern noch unsicher sein. Oft vergesse ich sogar, dass ich nicht dazu gehöre - bis sie mich daran erinnern. Um einen Partner zu finden, müsste ich aber Männern gegenüber schüchtern und unsicher sein, sie für exotische, mir überlegene Wesen halten. Dass ich ihnen gegenüber so locker, selbstverständlich und kumpelhaft bin, senkt mich geradezu auf das Niveau einer... was auch immer. Ihnen fehlt der Abstand, die Verehrung, dass ich ihnen das Gefühl gebe, etwas Besonderes zu sein. Sie brauchen diese Distanz, um sich sicher zu fühlen. Sie suchen in einer Frau das Andere, das Unverständliche, das Unnahbare und schwer Erreichbare."
"Unsinn. Es wird irgendwann einen geben, der dich so mag wie du bist."
Luisa lachte traurig. "Das ist das, was man eben so sagt. Aber um geliebt zu werden müsste ich ein anderer sein, als der der ich bin, um im Beruf Erfolg zu haben. Und ich kann doch nicht zwei Menschen in einem sein, ich kann nur ein einziger Mensch sein!"
Schon lange habe ich nicht mehr berichtet, wie ich mit dem Schreiben voran komme. Natürlich schreibe ich. Ein Schriftsteller ist jemand, der gar nicht anders kann als ständig zu schreiben. Neulich hatte ich etwas Urlaub ("Arbeitsurlaub") und auch im Normalbetrieb frisst mich mein Brotberuf nicht vollständig auf. Ich habe gerade geregelte Arbeitszeiten. (Kaum zu glauben!)
Momentan schließe ich lieber ab als Neues zu beginnen. Ganz diszipliniert. Der Schwerpunkt liegt gerade auf der Fachliteratur. Ein Buchkapitel habe ich nach Vorgaben der Lektoren nochmal vollständig umgemodelt (einschließlich der Ergebnisse weiterer
Literaturrecherchen), mehrere Zeitschriftenartikel sind frisch hinausgeschickt zum Wettlauf mit den anderen, ein Fachbuch japst auf der Zielgeraden. Nebenbei trainiere ich meinen neuen Fantasy-Roman, gecoacht durch die Schreibgruppe, die sich monatlich trifft und dadurch Abgabefristen schafft, wo sonst keine wären.
Im Fantasy-Roman geht es um eine Frau in der harten Männerwelt. Womit ich nicht behaupten will, die Männerwelt sei härter als die Frauenwelt, sondern dass meine Heldin im härtesten Teil der Männerwelt mitmischt: Es geht um Macht, Macht und Einfluss. Politische Macht, finanzielle Macht, Abschreckung und Krieg, Sieg und Niederlage, Drohungen und Bluffs, Rufmord und Mordanschläge. Was ist Macht, wozu will man Macht, wie erringt man sie und wie verteidigt man sie?
Was mich mal wieder so fasziniert: Meine Aufgabenlisten sind unglaublich zusammengeschrumpft, aber ich arbeite immer noch so viel wie früher. Mehr als arbeiten kann man nicht, und wenn man sich zu viel vornimmt, schafft man trotzdem nicht mehr, sondern schleppt eben einen schweren Rucksack voll schlechtem Gewissens mit sich herum. Oder wie ich immer sage: "Ich weiß gar nicht, was ich zuerst liegen lassen soll." Nun kann ich alles was reinkommt sofort bearbeiten und das fühlt sich gut an. Gestern erreichte mich ein Gedichtband zum Rezensieren, heute Morgen in der S-Bahn habe ich schon die Hälfte gelesen. Spätestens am Wochenende ist die Besprechung im Kasten.