Samstag, 21. Dezember 2013

Das Ventil

"Landwehr, ich weiß jetzt, was Luisa damit gemeint hatte, dass wir alle sterben werden."
"Sprechen Sie bitte lauter, Marcus. Ich kann Sie nur ganz schwer verstehen."
"Tut mir leid. Ich möchte vermeiden, dass mich irgendwer oder irgendein Mikrophon hört. Was ich Ihnen jetzt sage, ist todvertraulich. Es würde hier zu Panik führen."
"Um was geht es?"
"Um ein Ventil."
"Ein lebenswichtiges Ventil."
"Würde Luisa wegen einem redundanten Teil etwa heulen und zittern?"
"Eben. Und das Teil ist bei der Explosion vernichtet worden, unersetzlich und wird demnächst nötig sein, um das Überleben des Schiffs zu sichern. So ungefähr?"
"Genau so."
"Ich verstehe trotzdem Ihr Problem nicht. Sie haben doch sicher eine Schmiede an Bord, die Ihnen notfalls aus einem Dessertlöffel ein Ventil bäckt."
"Ich habe recherchiert. Luisa hat das bisher selbst gemacht, aber auch ihr Brenner ist bei dem Unfall in die Luft gegangen und schon längst von der Aufräummannschaft zum Metallrecycling gegeben worden, wo es eingeschmolzen wurde. Der Schmied hat nur den Kopf geschüttelt. So winzige Dinge macht er nicht, hat nicht die Geräte dazu bzw. seine Geräte sind abgenutzt und ausgeleiert."
"Geräte kann man reparieren."
"Ja, aber... Dieses Schiff ist wirklich... Schrott, buchstäblich Schrott."
"Hören Sie auf zu jammern. Wollen Sie im Weltall sterben oder nicht?"
"Natürlich nicht!"
"Dann tun Sie was! Und wenn Sie sich das Ventil aus den Rippen schneiden oder ihre rechte Hand dafür opfern. Man merkt, dass Sie ein Zivilist sind. Beamter, nicht wahr?"
"Das ist nicht lustig."
"Soll es auch nicht sein. Soll ich Ihnen erzählen, wie das damals war, als wir auf dem Mars biwakiert haben?"
"Ich kenne diese Geschichte von Luisa. Aus der Zeit, als sie noch vollständige Sätze herausbrachte."
"Bringen Sie mir das Mädchen ans Telefon. Ich werde Luisa schon aufheitern."
"Sie meinen 'in den Arsch treten'?"
"Je nachdem, was sie braucht, um ein Schiff mit tausend Seelen zu retten. Ohne sie seid ihr doch verloren. Ihr fahrt das Schiff ja sehenden Auges an die Wand. Wie heißt euer Schiff? Titanic?"
"Ich könnte jetzt beleidigt sein. Aber Sie haben ja Recht. Es ist meine erste Fahrt."
"Wichtig zu wissen. Dann kennen sie ja gar kein ordentlich geführtes Schiff."
"Doch, bin früher zur See gefahren."
"Militär?"
"Frachtschiff. Kapitän."
"Du liebe Güte, und dann machen Sie jetzt sowas?"
"Unser Schiff ist gesunken. Ich weiß, wie es da zugeht. Die Panik, das Getrampel, das Wegdrängen von den Rettungsbooten."
"Und wie schlafen Sie nachts?"
"Fragen Sie nicht. Sie wissen sicher, was eine posttraumatische Belastungsstörung ist."
"Natürlich. Haben wir das nicht alle? Das All schont keinen. Aber was ich nicht verstehe: Wenn Sie jetzt die Weite des Ozeans fürchten, warum fahren Sie dann raus in die Galaxien?"
"Es ist nicht die Weite, die mir Albträume bereitet, sondern das unkoordinierte Gewusel aggressiver, egozentrischer Menschen in den Städten. Jeden Morgen wenn sie zur Arbeit fahren, drängen sie in die U-Bahn als sei sie ein Rettungsboot."
"Und auf dem Raumschiff geht es ruhiger zu?"
"Extrem gemütlich. Wir haben ja viel Zeit und viel Langeweile, während wir die Lichtjahre durchfliegen."
Landwehr lachte. "Zivilisten, haha. Beim Militär verursacht man selbst in der größten Langeweile künstlich Hektik, damit alle auf Zack bleiben."
"Darum bin ich auch hier und nicht beim Militär, nicht wahr."
"Aber immerhin waren Sie mal Kapitän. Dann kann ich mit Ihnen ja vernünftig reden."
"Hoff ich."
"OK, zurück zum Thema. Das Schiff braucht Luisa und Luisa braucht eventuell den guten alten Landwehr."
"Sie darf gerade nicht telefonieren. Da meine Besuche sie sehr aufgeregt haben und sie zu weinen anfing, habe sogar ich nun Besuchsverbot."
"Sie steht unter Isolationshaft?"
"Nein, sie sorgen sich nur..."
"Unsinn. Luisa weiß etwas, das Panik auslösen könnte, und sie kann gerade den Mund nicht vernünftig halten. Man sperrt sie ein. Holen Sie sie da raus."
"Soll ich mit der Dienstwaffe die Krankenstation stürmen, Luisa entführen und dann mit einer Rettungskapsel ins All fliehen oder was?"
"Der Vorschlag kommt von Ihnen, nicht von mir. Ich dachte, als Polizist kennen Sie etwas subtilere Mittel."
"Ich spreche mit dem Kapitän."
"Klingt schon besser. Machen Sie ihn zu Ihrem Verbündeten."

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