Dorian Gray
„Das Bildnis des Dorian Gray“ von Oscar Wilde ist ein Meisterwerk der frühen Phantastik: farbig und duftend, doppelsinnig und nachhallend. Besonders zwei Fragen wirken in mir noch nach. Dorian Gray selbst meint, er habe sich zu einem abscheulichen Bösewicht entwickelt, weil der zynische Lord Henry ihn verführt. Oder weil ihn sein Bildnis gelehrt hat, die eigene Schönheit und Jugend über alles andere zu lieben. Oder weil er – als Jugendsünde gleichsam – einen Schwur getan hat, mit dem er seine Seele verkaufte? Doch ist dies nicht eine Ausrede, denn sein Maler Bazil bemerkt – obwohl verliebt in Dorian: „In der Regel ist er bezaubernd zu mir. [...] Hin und wieder ist er jedoch entsetzlich rücksichtslos. Und es scheint ihm große Freude zu bereiten, wenn er mir weh tut. Dann spüre ich, dass ich meine Seele jemandem hingegeben habe, der rmit ihr umgeht wie mit einer Blume, die man sich ins Knopfloch steckt.“ Lord Henry jedoch sonnt sich in seinem „Jeder Einfluss ist schädlich“ und der Behauptung, in der Welt stünde alles zum Besten, wenn nur jeder täte, wonach ihm ist. Dies gesagt, kann Dorian eigentlich nichts mehr richtig machen. Lehnt er sich auf gegen Lord Henrys Einfluss, müsste sein Leben perfekt werden, was es nicht tut. Schließt er sich dem Zynismus an, so gilt er als ein Geschöpf seines Meisters. Seine erste große Schuld am Tod eines Menschen treibt ihn in die Arme des Bösen und so geht seine Seele verloren. Nach dem Motto „Nur oberflächliche Menschen brauchen Jahre, um über ein Gefühl hinweg zu kommen“, stürzt er sich in egoistische Vergnügungen. Ich persönlich glaube, der Maler hat ihn am besten gekannt. Das Böse war in seine Unbeschwertheit untergemischt, so wie bei wohl den meisten jungen Menschen. Später verstärkte es sich, als Dorian noch zu jung ist, für den Schaden, den er anrichtet, die Verantwortung zu übernehmen. Und noch eine zweite Botschaft Oscar Wildes lässt mich grübeln: Ist es möglich, dass die Liebe einen Menschen so sehr verändert, dass der andere ihn nun nicht mehr lieben kann? Sybil verließ ihr hohes Podest und begab sich in die Niederungen der Liebe. Damit starb Dorians Liebe. Ein scheußlicher Gedanke, an dem etwas dran sein könnte. Und demnächst besorge ich mir ein weiteres Buch von Oscar Wilde...
Geschichten-Manufaktur - 13. Aug, 09:06