Mittwoch, 29. Oktober 2008

Mittwoch, 29.10.2008

Den vorigen Sonntag habe ich mir rot im Kalender markiert. Da war ich doch tatsächlich um 15 Uhr mit allen dringenden Arbeiten für diese Woche fertig! So etwas hatte ich mir schon seit Monaten erträumt! Dann habe ich mich allerdings nicht sofort an die Romane gemacht. Irgendwann muss man auch mal vom Adrenalin wieder runter kommen! Daher gönnte ich mir einen Spielenachmittag mit einer Freundin und anschließendes frühes Ins-Bett-Gehen mit gemütlichem Leseabend. Wenn man schon den gesamten Sommer über keinen Urlaub hatte, sollte man wenigstens mal halbtageweise frei nehmen.

Dienstagnachmittag hatte ich im Zug noch eine Dreiviertelstunde, um an einem neuen Fantasy-Roman zu tippen. Leider war es nicht Baba Yaga. Für diese Geschichte hat es mich noch nicht gepackt. Ich sollte vermutlich einfach mal anfangen. Wenn ich drin bin, kommt der Rest des Romans von alleine.

Ich möchte hier noch einige Gedanken erwähnen, die ich aus Paul Tourniers "Zuhören können" mitgenommen habe. Es geht darin um christliche Psychotherapie und Medizin sowie allgemein um christliches Leben und Kommunizieren. Sehr bereichernd fand ich die folgenden beiden Stellen:
"Überall in der Welt begegnet man Menschen, die auf die gleiche Weise angespornt worden sind. Jeder von ihnen hat seinen eigenen Weg gefunden, aber sie haben alle die gleiche Entwicklung durchgemacht. Man erkennt sie sofort an ihrem persönlichen Ton. Sie sprechen von der Realität des Lebens, anstatt über Theorien zu diskutieren."
Schöner kann man Reife und Weisheit nicht beschreiben. Und für mich ist es das auch, was die Belletristik ausmacht: Sie erzählt von Realitäten, von persönlichen Schicksalen. Das ist ein anderer, womöglich sogar reiferer Ansatz, über das Leben zu sprechen als wissenschaftliche Artikel, die viel mehr Wert darauf legen, allgemeine Regeln aufzudecken. Ich habe - nebenbei bemerkt - in den letzten Monaten in Internet-Foren bemerkt, dass zwar die Menschen immer wieder an ähnlichen Problemen leiden, doch die beste Lösung hängen von so Vielem ab. Dafür gibt es keine Regeln, man könnte keinen Hilfeschrei mit einer Pauschalantwort erledigen.
In der zweiten Tournier-Textstelle ging es um selektive Wahrnehmung und wie sie sich auf Gespräche auswirkt: "Er nahm einen Korb, und im Spazierengehen bückte er sich immer wieder und sammelte ein. Er war der Sohn eines Pilizkontrolleurs und kannte sich aus. Ich war sprachlos: In zehn Minuten war der Korb voll. Ich schaute und suchte, aber ich sah nur das Gras. Da verstand ich, daß man nur das sieht, was man zu sehen bereit ist. Es gab überall Pilze, aber ich sah sie nicht." Tournier betont, dass die wissenschaftliche Art, Medizin zu betreiben, nur die sichtbare, objektive Hälfte des Mondes zeigt. Es gibt jedoch noch eine andere Hälfte, und auch wenn viele Mediziner erahnen, dass viele Krankheiten Ausdruck eines inneren Dramas sind, so wissen sie doch nicht, wie damit umgehen. (Der Text stammt von 1982.) Und deshalb betrachten sie diese Hälfte nicht.
"Wie hilft man also den Leuten? Sicher nicht mit Ratschlägen. Denn entweder werden sie gehorsam befolgt, wie von Kindern, oder sie werden nicht befolgt. Also nützen Ratschläge nichts. Was den Leuten hilft, ist das, was auch mir geholfen hat, das heißt, die Begegnung mit Personen, die wirklich von ihren Leiden, ihren Schwierigkeiten, ihren Hindernissen, ihren Weigerungen, ihren Ausflüchten sprechen. [...]
Ich war ein Bezirksarzt, ein Hausarzt. Meine Patienten glaubte ich von Grund auf zu kennen, und da plötzlich begannen sie, bei ihren Gesprächen mehr in die Tiefe zu gehen. Die Gesprächsebene hängt von unserer eigenen Bereitschaft ab zuzuhören. Was mir sofort aufgefallen ist, war die Tatsache, daß viele dieser Probleme im Zusammenhang stehen mit der Gegensätzlichkeit von Auflehnung - Annnahme. Das Leiden ruft immer Auflehnung hervor, und die Lösung liegt immer in einer Annahme. Aber man verhilft niemandem zu einer Annnahme, indem man sagt: 'Man muss annehmen.' Es müßte gelingen, den Ärtzen diesen Zusammenhang verständlich zu machen, der nicht ein Zusammenhang der Kausalität ist, sondern ein geistiger. Die Annahme kommt im Kontakt mit Menschen zustande, die selbst angenommen haben, also erfolgt die Annahme bei unseren Patienten, wenn wir selbst unsere persönlichen Schwierigkeiten angenommen haben."
Ich denke, dies gilt nicht nur für Ärzte und Therapeuten, sondern auch für Freunde und für Schriftsteller, die alle auf ihre Art versuchen, Anderen zu helfen. Eine Sache ist mir durch dieses Buch nochmal klarer geworden als es ohnehin schon war: Warum mir oft fremde Menschen ihre Lebensgeschichte erzählen, einschließlich sehr persönlicher und mit Tabu beladenen Geheimnisse. Mein Schreiben entspringt einer bestimmten Einstellung gegenüber den Menschen und dem Leben, die dazu führt, dass mir Geschichten zufliegen. Echte, wahre Geschichten. Und ich beobachte auch, dass viele Leser den geheimen Zauber wahrnehmen, den diese Einstellung in meine Texte webt. Der persönliche Ton, das Angenommenhaben des Lebens einschließlich seiner dunkelsten Schatten und wärmstem Licht.

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