Dienstag, 9. Oktober 2012

Willkommen an Bord

Leider hatte Luisa damit unrecht. Der Kapitän war ein frustrierter Seebär mit schmuddeligem, schiefem Hemdkragen, den seine Frau auf der Erde betrogen und per Fon verlassen hatte, während er sich auf Fahrt befand. Viele Kapitäne nahmen ihre Familie mit auf die Reise, doch die geschwätzige Küchenhilfe Finja, offensichtlich der wichtigste Informationsdrehpunkt dieses kleinen Universums, meinte: "Dass seine Frau nie mitkam, beweist ja schon, dass etwas nicht stimmte. Da hat sie den Liebhaber bestimmt schon gehabt." Luisa enthielt sich einer Meinung. "Muss nicht sein", warf sie vorsichtig ein.
Tags darauf warf ihr Finja vor, sie habe behauptet, die Kapitäns-Gattin habe sich den Liebhaber erst gesucht, nachdem ihr Mann auf Reisen war. Finja meinte, Luisa sei eine ziemlich besserwisserische Person, die Dinge behaupte, die sie gar nicht wissen könne. Woher sie den Kapitän überhaupt so gut kenne?
Am folgenden Tag reagierte Luisa etwas verhalten auf die Begrüßung Finjas an der Kuchentheke, woraufhin diese wütend und viel zu laut sagte: "Nur weil du Sex mit dem Kapitän hast, du Flittchen, brauchst Du nicht zu glauben, dass du etwas Besseres bist."
Die Leute vor und hinter Luisa in der Schlange kicherten.
Luisa wurde rot und rief: "Und Sie sollten Ihre schmutzige Phantasie in Zaum halten! Warum erfinden Sie denn solche Geschichten? Ich habe mit dem Kapitän bisher noch keine zwei Worte gewechselt, ich kenne diesen Mann gar nicht."
"Ach, die Affäre besteht nur aus wortlosem wildem Sex?"
"Halt´s Maul!" knurrte Luisa im besten Soldatenton.
"Aber dass du ihn schon lange kennst und dass du weißt, wie es zu seiner Trennung gekommen bist, das hast du mir doch gleich am ersten Tag hier gesagt. Besonders diskret bist du also selbst nicht!"
"Dass ich nicht lache. So etwas würde ich nie sagen, weil es einfach nicht wahr ist. Das hast du dir ausgedacht!"
"Das ist ja wohl lachhaft. Ich denke mir so etwas doch nicht aus! Jetzt lügt dieses Flittchen auch noch. Aber es ist zu spät. Wir wissen Bescheid!"
"Wenn du nicht hinter dieser verdammten Kuchentheke verschanzt wärst, Tratschtante, dann würde ich dir eine wischen!"
Finja kreischte. "Sie bedroht mich! Hilfe, wir haben eine Gewalttätige an Bord! Jemand muss sie festhalten und einsperren!"
Als Luisa sich umsah, waren alle anderen verschwunden, niemand wollte mehr Kuchen oder Ärger.
Als Finja die Hand unter den Tresen schob, wusste Luisa, dass sie nun den Notknopf drückte. Da man auf einem Raumschiff nicht sonderlich weit davon laufen kann, nahm sie seufzend ihr Tablett, bezahlte und setzte sich an einen leeren Tisch, um die ersten beiden Gänge ihres Mittagsessens zu verspeisen. Noch während der Suppe erschien die Raumschiffpolizei.
Noch bevor die vier Uniformierten etwas sagen konnten, hob Luisa ihr Handgelenk, deren Lesegerät las ihre Personalien. "Ich hab die Frau bedroht", gab Luisa zu, ohne auzustehen. "Aber sie hat zuvor laut erfundene Geschichten über mich herumposaunt. Das hat mich wütend gemacht."
"Von einer ehemaligen Soldatin würde man mehr Selbstbeherrschung erwarten", erwiderte der Mann mit dem Lesegerät.
"War ja auch nicht ernst gemeint. Ich werde mir an dieser... Frau nicht die Hände schmutzig machen. Ich werde sie ignorieren."
"Wir müssen den Vorfall trotzdem zu Protokoll nehmen und dokumentieren. Das verstehen Sie sicher."
"Kann ich vorher noch mein Tofuschnitzel aufessen? Kalt schmeckt die Soße nicht mehr. Ich würde einfach in einer halben Stunde bei Ihnen vorbei kommen und meine Aussage machen."
"Das geht leider nicht. Wir müssen von einer eventuellen Bedrohung ausgehen."
"Glauben Sie wirklich, ich würde dieser Tussi etwas antun?"
"In Ihren Akten liegen Vorfälle vor, die darauf schließen lassen. Sie haben sich schon früher geprügelt."
Luisa lachte. "Aber doch nur mit Leuten, die mir ebenbürtig sind."
Der Mann mit dem Lesegerät beugte sich vor und Luisa sah nun, dass er jünger war als sein blonder Bart ihn erscheinen ließ. Er flüsterte: "Glauben Sie mir, diese Frau ist Ihnen über. Legen Sie sich mit der bloß nicht an. Sie sollten uns nun besser folgen, das rate ich Ihnen."
Luisa blickte sich um. Finja stand mit überkreuzten Armen vor der Kuchentheke und beobachtete die Szene, während der Rest der Leute in der Kantine so taten als würden sie sich um ihren eigenen Salat kümmern. Aus den Augenwinkeln beobachteten sie aber genau, was sich hier abspielte.
"Na gut", seufzte Luisa, packte das Tofuschnitzel in ihre Serviette und brachte den Rest des Tabletts unter Polizeibegleitung zum Fließband.
"Wenn Sie darauf verzichten, mir Handschellen anzulegen, kann ich mein Schnitzel unterwegs essen."
"Sie können nach dem Verhör essen", knurrte ein untersetzter Polizist und packte sie unsanft am Ellenbogen. "Bisher waren wir höflich, aber nun sollten Sie endlich mal verstehen, dass wir hier nicht auf einem Jahrmarkt sind. Hier herrscht Ordnung. Haben Sie sich beim Militär auch so benommen wie hier? Seit wenigen Tagen an Bord und schon Ärger anzetteln? Ihre Akte spricht ja Bände."
"Dann müssen da auch Dinge drin stehen, von denen ich nichts weiß."
"Schlafwandeln tun Sie auch noch? Oder nehmen Sie Drogen?"
"Sehen Sie doch in meiner Akte nach."
Blondbart schüttelte warnend den Kopf. Er hatte ja Recht. Luisa hielt den Mund und ließ sich noch in der Kantine Handschellen anlegen.

Auf der Polizeiwache wurde das Gespräch nicht freundlicher. Luisa ließ sich aber nicht mehr provozieren, sondern verhielt sich vorbildlich wie bei einem Rollenspiel oder einer mündlichen Prüfung. Der Dicke verhörte sie, der Blonde schrieb alles mit. Der Dicke ärgerte sich darüber, dass es ihm nicht mehr gelang, Luisa zu provozieren. "Haben Sie nicht wenigstens ein bisschen ihren Tod gewollt?" fragte er beispielsweise. "Na, das kann ja jedem mal passieren, kein Grund sich zu schämen. Geben Sie es ruhig zu, wir sind ja hier unter uns."
Luisa sagte zum Protokollanten: "Schreiben Sie diese seltsame Befragungstechnik bitte auch mit."
Der Dicke knurrte, der andere tippte nicht. Die wussten schon, warum sie keine Tonaufnahme machten, sondern von Hand schrieben. Sausäcke!
Endlich durfte Luisa gehen. An der Tür machte sie Halt, zog das zerdrückte feuchte Päckchen aus ihrer Jackentasche und warf es in einem geübten Bogen in den Papierkorb der Polizeistation.
Dann ging sie hinaus.

Draußen lehnte sie an die Wand des Flurs und atmete tief durch. Sie blinzelte.
"Kein Grund, wegen einem Tofuschnitzel zu weinen", sagte jemand sanft. Luisa schrak zusammen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass Blondbart mit ihr herausgekommen war.
"Jeder würde sich scheiße fühlen in meiner Lage. Seit wenigen Tagen an Bord, noch zwei Jahre vor mir, und ich habe mich mit dem schlimmsten Tratschweib des Universums angelegt, bin öffentlich blamiert und abgeführt worden und die Bordpolizei hält mich für eine gemeingefährliche Unruhestifterin wegen irgendwelchem Quatsch, den man mir während meiner Militärzeit in die Akte geschrieben hat."
Er lächelte. "Falls es Sie tröstet: Sie sind nicht die Einzige, der das hier so geht. Die ganzen schadenfrohen Gestalten sind doch nur froh, weil es sie dieses Mal nicht selbst getroffen hat. Ich werde nach der Ankunft auf der Erde abheuern, das ist kein Geheimnis."
"Aber für zwei Jahre sind wir hier auf diesem Schiff gefangen."
Er lächelte. "Das 'wir' gefällt mir. Wir sollten uns in der Lounge auf einen Kaffee treffen, damit ich Ihnen eine kleine inoffizielle Bedienungsanleitung für das Personal dieses Schiffes gebe."
"Die Lounge ist verwanzt", sagte Luisa.
Er schloss die Augen und nickte. "Der Vorplatz hier aber auch."
"OK", sagte Luisa.
"Ich heiße Marcus. Feierabend um vier. Treffen wir uns dann."
"OK."
Unerwartet drückte er sie sanft an sich und sie spürte seine Hand an ihrer Hüfte. Sie erschrak über so viel Vertraulichkeit und befürchtete, er habe etwas falsch verstanden. Als er ihr Gesicht sah, sagte er: "Schauen Sie, ob das Tofu nicht Ihre Jackentasche fettig gemacht hat." Dann wandte er sich ab und ging.
Luisa verstand.

In ihrer Kabine nahm Luisa ein Buch und es gelang ihr, den Zettel aus ihrer Jackentasche hinein zu schmuggeln, so dass man ihn von der Überwachungskamera aus nicht sehen konnte. Sie wusste, wo sie hing: Gegenüber der Tür oben an der Decke, direkt auf die Tür und damit auch auf das Bett gerichtet. "Spanner", dachte sie. Im Bad war keine Kamera, sondern nur eine Wanze. Sie legte sich aufs Bett und las scheinbar das Buch, tatsächlich aber den Zettel: "19 Uhr im Maschinenraum."
Um wen-auch-immer zu verwirren, trank sie um vier Uhr trotzdem einen Kaffee in der Lounge, sah immer wieder auf die Uhr und erhob sich dann um 16:25 Uhr scheinbar enttäuscht." Draußen auf dem Flur erhielt sie eine SMS von Marcus: "Kann leider nicht kommen. Wir holen es nach."

Im Maschinenraum gab es Kakerlaken, aber keine Wanzen.
"Erstaunlich sauber hier", bemerkte Luisa.
Marcus erklärte: "Mr. Spock, unser Sicherheitsingenieur, hält das ganze Schiff zusammen. Ohne ihn wären wir schon tausend Mal in Stücke gegangen, munkelt man. Dem Kapitän ist es wurscht, der hängt nicht mehr sehr am Leben."
"Sehr beruhigend."
"Kommen Sie, ich zeige Ihnen den Motorenraum."
"Dürfen wir denn dort hin?"
Er hob sein Handgelenk und zeigte das grüne Polizei-Armband. "Inspektion." Er grinste.

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