Donnerstag, 24. Februar 2011

Selbstsabotage

Offizier Landwehr passte Krasowski auf dem Gang ab, als er aus dem Trainingsraum kam, frisch geduscht und mit feuchten Locken.
"Ich muss mit Ihnen reden, kommen Sie mit", flüsterte er hastig und zog ihn am Ellenbogen in einen der Besprechungsräume, dass
Sergej Krasowski sich entführt fühlte.
Landwehr hielt sich nicht lang mit Vorreden auf und fragte ihn, ohne dass sie sich setzten: "Wie lange wollen Sie noch den Kasper spielen?"
"Ähm, was?"
Als Landwehr die Augenbrauen hochzog, fügte der junge Mann hinzu: "Sir?"
Sofort entspannte sich Landwehr. "Genau das meine ich. Kennen Sie die Vorschriften, junger Mann?"
"Jawohl, Sir."
"Eben, sonst wären Sie nicht auf diesem Schiff. Sie waren bei der Ausbildung unter den besten 5%."
"Sir?"
"Jawohl, ich habe Ihre Personalakte gelesen. Ich habe Sie beobachtet. Ich habe mir ein Bild gemacht."
"Sir?"
"Wir leben auf einem Schiff. Hier ist nichts privat, mein Junge. Nichts. Und insbesondere Ihre Kaspereien nicht, denn Sie haben es so weit getrieben, dass Sie uns beinahe umgebracht haben."
"Sir, was wollen Sie von mir?"
"Warum machen Menschen Fehler, was glauben Sie?" Landwehr begann, betont beiläufig umherzuwandern.
Krasowski zuckte die Schultern. "Dafür gibt es viele Gründe."
"Jawohl, und die meisten scheiden in Ihrem Fall aus. Sie sind nicht dumm und Sie kennen die Vorschriften. Was haben Sie gedacht, als Sie die Koordinaten eintippten?"
"Nichts, also, ich meine, ich..." Krasowski begann zu stottern. "Ich weiß es nicht." Dieses Gespräch kam ihm so schrecklich bekannt vor und das letzte Mal war es böse ausgegangen.
"Wollen Sie General werden?" fragte Landwehr abrupt und sah Krasowski dabei direkt in die Augen.
"Ähm... Sir?"
Landwehr knurrte. "Allmählich verliere ich die Geduld mit Ihnen. Warum stellen Sie sich dumm?"
"Vielleicht", versuchte Krasowski die Situation aufzulockern, "weil ich dumm bin?"
Landwehr blieb stehen und sagte leise: "Es reicht. Verstehen Sie? Es reicht." Und dann brüllte er: "Hören Sie auf mit der Kasperei, mich können Sie nicht täuschen!"
Dann herrschte Stille. Irgendwo summte ein Motor, im Raum über Ihnen tappten Schritte. Ganz sacht vibrierte das Schiff um sie herum. Es roch nach verbranntem Gummi.
"Ich sag´s Ihnen, Krasowski." Landwehrs Stimme war ganz ruhig. "Sie albern herum, um alle zu täuschen. Sie fürchten sich davor, dass Ihre Kameraden merken, was Sie auf dem Kasten haben. Sie fürchten den Neid derer, die dümmer und unfähiger sind als Sie selbst. Ich habe Sie beobachtet. Beim Training machen Sie immer dann einen Fehler, wenn Sie den anderen um zwei Meter voraus sind. So manchen Sieg beim Hundertmeterlauf haben Sie durch ein Stolpern kurz vor dem Ziel vereitelt. Wenn Sie nahe dran sind, einen Boxkampf zu gewinnen, dann werden Ihre Bewegungen langsamer und Sie geben Ihre Deckung auf. Sie schreiben einen Bericht, der sich wunderbar liest, und auf der letzten Seite bauen Sie einen Fehler ein, der alles zerstört. Sie schreiben eine hochwertige Kurzgeschichte und zuletzt löschen Sie sie wieder. Sie schaffen in einer Prüfung die Hälfte aller Aufgaben in einem Viertel der Zeit und dann brüten Sie sinnlos über der vorletzten, damit Sie garantiert die letzte in aller Hast hinschmieren müssen. Sie sabotieren sich selbst, Sie spielen den Trottel. Nur damit keiner merkt, dass Sie den anderen voraus sind. Sie haben Talent und Sie haben Disziplin und Sie durchschauen die Dinge und Sie haben das Zeug zum General. Na gut, wenn Sie noch ein wenig an sich arbeiten und dreißig Jahre mehr an Erfahrung haben. Haben Sie mich verstanden?"
Krasowski hatte nur da gestanden und sich das angehört. Nun starrte er bleich vor sich hin.
Seine Augenlider zuckten. "Kann ich jetzt gehen?" fragte er tonlos.
"Nein", erwiderte Landwehr knapp. "Sie haben meine Fragen noch nicht beantwortet."
"Sir, welche Fragen?"
"Wollen Sie General werden?"
Krasowskis Mundwinkel zuckten. "Sir, es genügt mir, einfach nur meine Arbeit gut zu machen. Welche auch immer das ist."
"Einen Scheiß genügt Ihnen das. Sie müssen sich entscheiden: Wollen Sie General werden oder sollen Sie sich bei allen Nichtsnutzen der Flotte beliebt machen?"
"Dann bitte lieber letzteres."
Landwehr schnaubte. "Sie sind ein gottverdammter Querulant und Selbstsaboteur." Er ging zur Tür und drehte sich noch mal um, bevor er sie öffnete. "Wenn Sie es sich anders überlegt haben, dann kommen Sie zu mir, und dann sprechen wir wie Erwachsene miteinander. Bis dahin bleiben Sie mir aus den Augen!"
Er ging und knallte die Tür hinter sich zu.

Drei Tage später sprach Sergej Kraswoski Landwehr nach dem Abendessen an: "Sir, ich bin so weit."
Landwehr nichte nur und nahm ihn mit in seine Kabine. Es war eine relativ große Einzelkabine mit einem Klapptisch an der Wand unter dem unter der Decke montierten Hochbett. An diesen Tisch
setzten sie sich nun und Landwehr stellte Kekse auf einem Untertellerchen hin.
"Nun?" fragte er. "Was haben Sie mir zu sagen?"
Krasowskis volle Lippen zitterten, als er begann: "Sie haben richtig beobachtet. Ich wollte es selbst nicht wahr haben, aber die letzten Tage... Es ist zur Gewohnheit geworden."
"Hören Sie auf zu stottern und zu zittern, Mann. Das haben Sie nicht nötig!"
"Sir, Entschuldigung, aber ich bin nervös."
"Nein, das sind Sie nicht. Sie wissen, was Sie wollen, aber sie wagen immer noch nicht, Ihren Weg zu gehen. Sie versuchen mich dazu zu zwingen, die Geduld mit Ihnen zu verlieren. Treiben Sie es nicht zu weit."
Krasowski schluckte nach Luft. "Sie haben Recht, Sir. Ich sabotiere mich selbst. Ich mache unnötige Fehler. Ich fürchte mich vor Lob und vor der Erinnerung an Neid und... Früher war ich ein Außenseiter... Sie können sich gar nicht vorstellen, wie gemein die Leute reagieren, wenn einem etwas gelingt!"
"Ich kenne die Menschen sehr wohl."
"Sir, das glaube ich, aber... dazu gehören zu wollen, ist doch nicht falsch!"
Landwehr schlug die Hand vor die Stirn. "Übertreiben Sie es nicht, Junge. Reden Sie klar und deutlich und beenden Sie gefälligst Ihre Sätze."
Krasowski blinzelte und ein Augenwinkel wurde feucht.
Landwehr seufzte. "Fassen wir zusammen: Sie wollen General werden und Sie haben eingesehen, dass ich Recht habe. Langes Gefasel und Kindheitserinnerungen interessieren mich nicht, lassen Sie den Scheiß hinter sich. Was also tun Sie jetzt?"
"Putzen?"
"Ja, und was noch?"
"Mich weiterbilden?"
"Ach, verdammt, sind Sie ein harter Brocken!"
"Aber ich kann doch gar nichts tun! Mein Status ist dahin, ich kann mich nirgends mehr beweisen! Der Kapitän hat mich abgewimmelt, als ich sagte, ich möchte mich irgendwie rehabilitieren."
"Und dann geben Sie einfach so auf?"
"Was soll ich denn tun?"
Landwehr knurrte und sprang halb auf. "Raus aus meiner Kabine, Sie Idiot! Stiehlt mir meine Zeit und frisst meine Kekse! Sofort raus und bleiben Sie mir in Zukunft von der Pelle!"
"Sir?" Krasowski blieb sitzen. "Würden Sie mir eine Chance geben?"
"Nein, ich gebe mir nur deshalb so viel Mühe mit Ihnen, weil ich jemanden brauche, der meine Toilette entstört", knurrte Landwehr ironisch und setzte sich wieder.
"Ich habe da eine vertrauliche Aufgabe für Sie. Da Sie bisher noch niemals gegen Geheimhaltungsvorschriften verstoßen haben, gab der Kapitän seine Erlaubnis, Sie damit zu betrauen. Und zwar handelt es sich um..."
(Der Rest des Gesprächs wurde aus Gründen der Vertraulichkeit vom Band gelöscht. Sie wissen schon: Würden Sie es sich anhören, müsste ich Sie hinterher erschießen. Und das gibt immer so eine Sauerei auf dem Teppich.)

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