Abgeklärtheit
Jeder wusste, dass der Putzmann Henry ein Philosoph war. Krasowski wusste es aber am besten, denn er musste oft mit ihm gemeinsam arbeiten, stundenlang. Krasowski wäre froh gewesen, wenn er über die heiße Luft hätte lachen können, den Henry von sich gab. Aber irgendwie war ihm das Lachen abhanden gekommen. Das Leben war einfach nur noch scheiße, wenn man den ganzen Tag mit dem Putzlappen, sperrigen Besen und schweren Eimer herumhumpelte und sauber machte, was man erst vor drei Tagen geschrubbt hatte.
"Du musst dich frei machen", erklärte Henry, während er mit einem energischen "Ratsch" den rosafarbenen Gummihandschuh bis zum Ellenbogen hoch zog. "Frei machen von Wünschen, Hoffnungen, Illusionen. Dann wirst du glücklich und gelassen sein und nichts kann dich mehr verletzen. Wer bereit ist alles zu verlieren, dem kann man nichts nehmen, der braucht nichts zu fürchten."
"Pah, klar", murrte Krasowski, obwohl er wusste, dass diese Diskussionen nie irgendwo hin führten, außer aufs Glatteis oder in einen Dschungel einander widersprechender Behauptungen, in dem er sich dann verhedderte. "Wer tot ist, leidet keine Schmerzen mehr."
"Exakt", erwiderte Henry, "aber du willst doch nicht etwa behaupten, sobald man loslässt, sei man tot? Umgekehrt sehr wohl, wer tot ist, hat loslassen müssen."
Krasowski richtete sich auf und blickte auf den einen Kopf kleineren, hageren Henry hinunter. "Ja, klar", höhnte er, "wenn ich meine Ziele aufgebe, dann BIN ich tot. Meine Ziele, das BIN ich."
"Tja", machte Henry und zuckte die Schultern, während er sich über das Pissoir beugte und mit einer Bürste herumschrubbte. "Das ist ja eben dein Problem. Momentan bist du abgeschnitten von allen möglichen Wegen zu deinem Ziel. Und darum leidest du."
"Aber besser leiden und kämpfen als tot zu sein!"
"Wenn dich das glücklich macht!"
"Jawohl, das MACHT mich glücklich, du Schlaumeier!"
"Dann beklag dich doch nicht dauernd."
Krasowski brüllte: "DAS TU ICH DOCH GAR NICHT!"
"Oh doch", schmunzelte Henry. "Deine Schulterhaltung, dein Blick, deine Stimme, die Art wie du angewidert in der Porzellanschüssel herumwischst, das alles schreit geradezu: 'Ich leide!'"
"Ich kämpfe!"
"OK, gut. Ich frage nicht gegen wen." Henry spitzte die Lippen, um eines seiner Liedchen zu pfeifen, aber Krasowski packte den Eimer heißen Putzwassers in Hüfthöhe und holte aus. Henry wurde bleich.
"Moment", versuchte der kleine Mann seinen Angreifer zu beschwichtigen, "Moment, aber gegen mich zu kämpfen nutzt dir gar nichts!"
"Doch, dann hältst du endlich deine Klappe!"
"Dass du so heftig reagierst, beweist doch nur, dass ich Recht habe. Ich habe deinen wunden Punkt erwischt und darum sträubt sich alles in dir gegen die Wahrheit." Er wich zurück. "Verstehst du?"
"Ich dachte, du fürchtest nichts, weil du alles los gelassen hast?" grinste Krasowksi.
Henrys Gesicht zog sich irritiert in die Länge und schrumpfte wieder zu einem schmalen Lächeln zusammen. "Ähm, ein Instinkt, ein primitiver Instinkt. Dagegen kann niemand etwas."
"Genau, und deswegen wirst du gleich Putzwasser schlucken!"
"Nicht doch, nicht doch!"
"Ich hab nix zu verlieren! Ich bin nämlich schon ganz unten. Wer mit dir zusammen putzt, der ist ganz unten, kapiert??"
"Ja, sicher doch, sicher doch. Wo ich bin, ist ganz unten. Alles klar."
Krasowski schaute ihn an, dann zuckte es in seinem Mundwinkel. Schließlich musste er lachen und setzte taumelnd den vollen Eimer auf den Fliesen ab, dass ein großer Schwung Wasser schäumend vor Henrys Füßen auftrat.
"Das ist gut", kicherte Krasowski, "das ist richtig gut. Du lässt echt alles los. Haha, ich scheiß mir gleich in die Hosen vor Lachen!"
"Freut mich, dich erheitert zu haben, mein junger Freund", erwiderte Henry, noch immer bleich. Nervös schrubbte er am Rand des Pissoirs herum, ohne den jungen Mann aus den Augen zu lassen, obwohl dieser gerade offensichtlich kampfunfähig war.
Krasowski konnte eine ganze Weile lang nicht mehr aufrecht stehen, weil ihn sein Lachkrampf lähmte. Schließlich ging das Lachen in ein albernes Kichern über und er machte sich an die Arbeit. "Loslassen, hihi", feixte er für den Rest des Tages vor sich hin. "Niedere Instinkte, ich kann nix dafür."
Er wurde erst zum Abendessen wieder ernst, als er in der Mannschaftsmesse am falschen Tisch sitzen musste. Ja, er würde kämpfen. Wenn er noch lange mit diesem Henry zusammen arbeiten musste, würde noch ein Unglück geschehen. Entweder er verlor den Verstand oder Henry würde verletzt werden oder beides gleichzeitig.
Tags darauf stand Krasowski vor dem Kapitän und fragte ihn, wie er sich bitteschön rehabilitieren könne. Der Kapitän blickte ihn ratlos an. "Auf dieser Fahrt nicht mehr, junger Mann. Es sei denn, Sie würden eine außergewöhnliche Heldentat begehen. Aber diese ruhige Routinefahrt wird wohl kaum eine solche Gelegenheit bieten."
Krasowski drückte das Kreuz durch und erwiderte: "Das werden wir sehen, Sir. Wenn Sie einen Mann für eine besondere Mission brauchen, so denken Sie bitte an mich."
Der Kapitän knurrte. "Das muss aber eine Aufgabe sein, die nichts mit Computern, Sicherheit oder Navigation zu tun hat. Wegtreten."
"Du musst dich frei machen", erklärte Henry, während er mit einem energischen "Ratsch" den rosafarbenen Gummihandschuh bis zum Ellenbogen hoch zog. "Frei machen von Wünschen, Hoffnungen, Illusionen. Dann wirst du glücklich und gelassen sein und nichts kann dich mehr verletzen. Wer bereit ist alles zu verlieren, dem kann man nichts nehmen, der braucht nichts zu fürchten."
"Pah, klar", murrte Krasowski, obwohl er wusste, dass diese Diskussionen nie irgendwo hin führten, außer aufs Glatteis oder in einen Dschungel einander widersprechender Behauptungen, in dem er sich dann verhedderte. "Wer tot ist, leidet keine Schmerzen mehr."
"Exakt", erwiderte Henry, "aber du willst doch nicht etwa behaupten, sobald man loslässt, sei man tot? Umgekehrt sehr wohl, wer tot ist, hat loslassen müssen."
Krasowski richtete sich auf und blickte auf den einen Kopf kleineren, hageren Henry hinunter. "Ja, klar", höhnte er, "wenn ich meine Ziele aufgebe, dann BIN ich tot. Meine Ziele, das BIN ich."
"Tja", machte Henry und zuckte die Schultern, während er sich über das Pissoir beugte und mit einer Bürste herumschrubbte. "Das ist ja eben dein Problem. Momentan bist du abgeschnitten von allen möglichen Wegen zu deinem Ziel. Und darum leidest du."
"Aber besser leiden und kämpfen als tot zu sein!"
"Wenn dich das glücklich macht!"
"Jawohl, das MACHT mich glücklich, du Schlaumeier!"
"Dann beklag dich doch nicht dauernd."
Krasowski brüllte: "DAS TU ICH DOCH GAR NICHT!"
"Oh doch", schmunzelte Henry. "Deine Schulterhaltung, dein Blick, deine Stimme, die Art wie du angewidert in der Porzellanschüssel herumwischst, das alles schreit geradezu: 'Ich leide!'"
"Ich kämpfe!"
"OK, gut. Ich frage nicht gegen wen." Henry spitzte die Lippen, um eines seiner Liedchen zu pfeifen, aber Krasowski packte den Eimer heißen Putzwassers in Hüfthöhe und holte aus. Henry wurde bleich.
"Moment", versuchte der kleine Mann seinen Angreifer zu beschwichtigen, "Moment, aber gegen mich zu kämpfen nutzt dir gar nichts!"
"Doch, dann hältst du endlich deine Klappe!"
"Dass du so heftig reagierst, beweist doch nur, dass ich Recht habe. Ich habe deinen wunden Punkt erwischt und darum sträubt sich alles in dir gegen die Wahrheit." Er wich zurück. "Verstehst du?"
"Ich dachte, du fürchtest nichts, weil du alles los gelassen hast?" grinste Krasowksi.
Henrys Gesicht zog sich irritiert in die Länge und schrumpfte wieder zu einem schmalen Lächeln zusammen. "Ähm, ein Instinkt, ein primitiver Instinkt. Dagegen kann niemand etwas."
"Genau, und deswegen wirst du gleich Putzwasser schlucken!"
"Nicht doch, nicht doch!"
"Ich hab nix zu verlieren! Ich bin nämlich schon ganz unten. Wer mit dir zusammen putzt, der ist ganz unten, kapiert??"
"Ja, sicher doch, sicher doch. Wo ich bin, ist ganz unten. Alles klar."
Krasowski schaute ihn an, dann zuckte es in seinem Mundwinkel. Schließlich musste er lachen und setzte taumelnd den vollen Eimer auf den Fliesen ab, dass ein großer Schwung Wasser schäumend vor Henrys Füßen auftrat.
"Das ist gut", kicherte Krasowski, "das ist richtig gut. Du lässt echt alles los. Haha, ich scheiß mir gleich in die Hosen vor Lachen!"
"Freut mich, dich erheitert zu haben, mein junger Freund", erwiderte Henry, noch immer bleich. Nervös schrubbte er am Rand des Pissoirs herum, ohne den jungen Mann aus den Augen zu lassen, obwohl dieser gerade offensichtlich kampfunfähig war.
Krasowski konnte eine ganze Weile lang nicht mehr aufrecht stehen, weil ihn sein Lachkrampf lähmte. Schließlich ging das Lachen in ein albernes Kichern über und er machte sich an die Arbeit. "Loslassen, hihi", feixte er für den Rest des Tages vor sich hin. "Niedere Instinkte, ich kann nix dafür."
Er wurde erst zum Abendessen wieder ernst, als er in der Mannschaftsmesse am falschen Tisch sitzen musste. Ja, er würde kämpfen. Wenn er noch lange mit diesem Henry zusammen arbeiten musste, würde noch ein Unglück geschehen. Entweder er verlor den Verstand oder Henry würde verletzt werden oder beides gleichzeitig.
Tags darauf stand Krasowski vor dem Kapitän und fragte ihn, wie er sich bitteschön rehabilitieren könne. Der Kapitän blickte ihn ratlos an. "Auf dieser Fahrt nicht mehr, junger Mann. Es sei denn, Sie würden eine außergewöhnliche Heldentat begehen. Aber diese ruhige Routinefahrt wird wohl kaum eine solche Gelegenheit bieten."
Krasowski drückte das Kreuz durch und erwiderte: "Das werden wir sehen, Sir. Wenn Sie einen Mann für eine besondere Mission brauchen, so denken Sie bitte an mich."
Der Kapitän knurrte. "Das muss aber eine Aufgabe sein, die nichts mit Computern, Sicherheit oder Navigation zu tun hat. Wegtreten."
Geschichten-Manufaktur - 21. Feb, 15:21