Manches ändert sich wohl nie: Kurse als Hoffnungsträger, Emanzipation im Krieg
Inzwischen bin ich durch mit dem Roman "Verwehte Träume" von Betty Smith. Ich liebe ihre Bücher, weil sie so unglaublich authentisch und detaillreich das Leben im Brooklyn um 1915 herum beschreiben. Sie sind quasi eine Milieustudie.
Aus diesem Roman nehme ich mehrere Key Learnings für mich mit:
Früher hat man anders gekocht. Mehrmals wird erwähnt, dass man damals das Essen auf den Herd stellte und es dann stundenlang vor sich hin köcheln ließ. Vermutlich war die Kochtemperatur nicht sehr hoch, denn das meiste brannte nicht an. Zum Beispiel der Brei fürs Frühstück wurde abends schon aufgesetzt, beim Frühstück schnippelte man das Mittagessen in den Topf und während der Mittagspause das Abendessen. Vom Metzger wird berichtet, er habe den ganzen Tag an demselben Eintopf gegessen, den er morgens auf den Herd stellte.
Die Amerikaner führten damals schon die Zentralheizung ein mit Heizkörpern in jedem Zimmer. In Deutschland war man noch lange nicht so weit, und ich habe tatsächlich schon in Wohnungen gelebt, wo es bis heute keine gibt. Allerdings ist sie auch nicht wirklich lebensnotwendig. Es ist wirklich möglich, mit einem einzigen Gasofen mehrere Zimmer zu heizen.
Zum Schulungsmarkt erfahren wir folgendes:
"In Williamsburg wurden immer irgendwelche Kurse veranstaltet - in Nebenräumen von Gasthäusern, Dachkammern, Kellern oder seit langem leer stehenden Geschäften, die man für einen Spottpreis mieten konnte. Leute, die sich selbst den Titel 'Lehrer' zugelegt hatten, gaben Unterricht im Spitzenklöppeln, Tätowieren, Singen, Tanzen, Jonglieren - in einfach allem. Man konnte lernen, wie man Dauerwellen macht und wie man sitzen und stehen und atmen muß, wie man Haar zum Wachsen bringt, wie man Haare los wird, wie man zu einem schönen Busen kommt und wie man im Keller Champignons züchtet.
Es gab eine Unmenge Lehrer, die wußten, wie man das alles macht, und obwohl sie es wußten, nicht reich wurden und nun glaubten, sie könnten dadurch reich werden, daß sie anderen Leuten sagten, wie man es mache. Und jene, die in diese Kurse gingen, träumten davon, Varietéstars zu werden wie Van und Schenck, die auch aus Brooklyn stammten, oder eine Tänzerin wie Irene Castle oder einen vollentwickelten Busen zu bekommen wie Miß Flatbush oder schön gewelltes Haar bis zu den Fußknöcheln wie die Sutherland-Schwestern auf den Haarwasserflaschen, und damit auf einem Jahrmarkt aufzutreten.
Keiner dieser Lehrer wurde reich, und kein Traum, den ihre Schüler träumten, ging in Erfüllung. Alles was Lehrer und Schüler davon hatten, war daß ein kleiner Hoffnungsschimmer für eine Weile in ihnen aufglomm. Keiner der Kurse dauerte lange; ein oder zwei Wochen oder höchstens einen Monat. Doch sie brachten den Leuten ein wenig Abwechslung und Aufregung."
Und hier noch etwas zur Emanzipation während des Krieges:
"Vor dem Krieg hatten Frauen in Fabriken oder als Verkäuferinnen, Kellnerinnen, Telefonistinnen, Stenotypistinnen, Kassiererinnen, Dienstmädchen und so weiter gearbeitet. Frauen mit einer besonderen Ausbildung hatten sich in Wartelisten eintragen und warten müssen, bis ein Posten als Lehrerin, Bibliothekarin, Krankenschwester oder Privatsekretärin frei wurde.
Jetzt standen ihnen fast alle Berufe offen. Sie arbeiteten als Straßenbahnschaffnerinnen, bedienten Aufzüge, fuhren Bier und Milch aus, ersetzten die Männer in den Postämtern, trugen hübsche Uniformen oder arbeiteten unten in Brooklyn im Marinehafen. Die Männer boten ihnen in der Untergrundbahn nicht mehr ihre Plätze an.
Sie trugen Hosen. Da es keine eigens für Frauen hergestellten Hosen zu kaufen gab, trugen sie die Hosen ihrer Brüder. Sie legten die hohen Schuhe ab und trugen Halbschuhe mit Gamaschen. Sie drangen in die Barbierläden ein und ließen sich die Haare kurz schneiden. Sie zwickten sich nicht mehr in die Wangen, damit sie rot wurden. Sie legten Rouge auf. Sie begannen Zigaretten zu rauchen. Sie debattierten wie die Männer über Politik. Die Zeit, da man es ihnen gestatten würde zu wählen, war nicht mehr fern."
Nach dem Kriegsende verloren übrigens die Frauen ihre Stellen wieder. Die Chefs waren natürlich solidarisch mit den Kriegsheimkehrern und fanden, dass diese viel dringender einen Job brauchten als die Frauen, die ja im übrigen jetzt endlich wieder alle heiraten konnten. Außerdem wird erwähnt, dass Lehrerinnen nur so lange arbeiten durften, bis sie heirateten. Nur unverheiratete Frauen durften unterrichten.
Naja, das entspricht auch meinen Erfahrungen. Die Männer sind untereinander solidarisch, weil sie ja für eine Familie die Verantwortung tragen und darum ihr Job lebenswichtig ist. Der Job einer Frau ist eh nur ein Hobby. Darum ist es auch moralisch in Ordnung, eine Frau aus dem Job rauszumobben, während es bei einem männlichen Kollegen unmoralisch wäre. Wie schön, dass die Leute eine Moral haben. Schlecht für mich, dass ich nicht unter deren Schutz stehe.
Aus diesem Roman nehme ich mehrere Key Learnings für mich mit:
Früher hat man anders gekocht. Mehrmals wird erwähnt, dass man damals das Essen auf den Herd stellte und es dann stundenlang vor sich hin köcheln ließ. Vermutlich war die Kochtemperatur nicht sehr hoch, denn das meiste brannte nicht an. Zum Beispiel der Brei fürs Frühstück wurde abends schon aufgesetzt, beim Frühstück schnippelte man das Mittagessen in den Topf und während der Mittagspause das Abendessen. Vom Metzger wird berichtet, er habe den ganzen Tag an demselben Eintopf gegessen, den er morgens auf den Herd stellte.
Die Amerikaner führten damals schon die Zentralheizung ein mit Heizkörpern in jedem Zimmer. In Deutschland war man noch lange nicht so weit, und ich habe tatsächlich schon in Wohnungen gelebt, wo es bis heute keine gibt. Allerdings ist sie auch nicht wirklich lebensnotwendig. Es ist wirklich möglich, mit einem einzigen Gasofen mehrere Zimmer zu heizen.
Zum Schulungsmarkt erfahren wir folgendes:
"In Williamsburg wurden immer irgendwelche Kurse veranstaltet - in Nebenräumen von Gasthäusern, Dachkammern, Kellern oder seit langem leer stehenden Geschäften, die man für einen Spottpreis mieten konnte. Leute, die sich selbst den Titel 'Lehrer' zugelegt hatten, gaben Unterricht im Spitzenklöppeln, Tätowieren, Singen, Tanzen, Jonglieren - in einfach allem. Man konnte lernen, wie man Dauerwellen macht und wie man sitzen und stehen und atmen muß, wie man Haar zum Wachsen bringt, wie man Haare los wird, wie man zu einem schönen Busen kommt und wie man im Keller Champignons züchtet.
Es gab eine Unmenge Lehrer, die wußten, wie man das alles macht, und obwohl sie es wußten, nicht reich wurden und nun glaubten, sie könnten dadurch reich werden, daß sie anderen Leuten sagten, wie man es mache. Und jene, die in diese Kurse gingen, träumten davon, Varietéstars zu werden wie Van und Schenck, die auch aus Brooklyn stammten, oder eine Tänzerin wie Irene Castle oder einen vollentwickelten Busen zu bekommen wie Miß Flatbush oder schön gewelltes Haar bis zu den Fußknöcheln wie die Sutherland-Schwestern auf den Haarwasserflaschen, und damit auf einem Jahrmarkt aufzutreten.
Keiner dieser Lehrer wurde reich, und kein Traum, den ihre Schüler träumten, ging in Erfüllung. Alles was Lehrer und Schüler davon hatten, war daß ein kleiner Hoffnungsschimmer für eine Weile in ihnen aufglomm. Keiner der Kurse dauerte lange; ein oder zwei Wochen oder höchstens einen Monat. Doch sie brachten den Leuten ein wenig Abwechslung und Aufregung."
Und hier noch etwas zur Emanzipation während des Krieges:
"Vor dem Krieg hatten Frauen in Fabriken oder als Verkäuferinnen, Kellnerinnen, Telefonistinnen, Stenotypistinnen, Kassiererinnen, Dienstmädchen und so weiter gearbeitet. Frauen mit einer besonderen Ausbildung hatten sich in Wartelisten eintragen und warten müssen, bis ein Posten als Lehrerin, Bibliothekarin, Krankenschwester oder Privatsekretärin frei wurde.
Jetzt standen ihnen fast alle Berufe offen. Sie arbeiteten als Straßenbahnschaffnerinnen, bedienten Aufzüge, fuhren Bier und Milch aus, ersetzten die Männer in den Postämtern, trugen hübsche Uniformen oder arbeiteten unten in Brooklyn im Marinehafen. Die Männer boten ihnen in der Untergrundbahn nicht mehr ihre Plätze an.
Sie trugen Hosen. Da es keine eigens für Frauen hergestellten Hosen zu kaufen gab, trugen sie die Hosen ihrer Brüder. Sie legten die hohen Schuhe ab und trugen Halbschuhe mit Gamaschen. Sie drangen in die Barbierläden ein und ließen sich die Haare kurz schneiden. Sie zwickten sich nicht mehr in die Wangen, damit sie rot wurden. Sie legten Rouge auf. Sie begannen Zigaretten zu rauchen. Sie debattierten wie die Männer über Politik. Die Zeit, da man es ihnen gestatten würde zu wählen, war nicht mehr fern."
Nach dem Kriegsende verloren übrigens die Frauen ihre Stellen wieder. Die Chefs waren natürlich solidarisch mit den Kriegsheimkehrern und fanden, dass diese viel dringender einen Job brauchten als die Frauen, die ja im übrigen jetzt endlich wieder alle heiraten konnten. Außerdem wird erwähnt, dass Lehrerinnen nur so lange arbeiten durften, bis sie heirateten. Nur unverheiratete Frauen durften unterrichten.
Naja, das entspricht auch meinen Erfahrungen. Die Männer sind untereinander solidarisch, weil sie ja für eine Familie die Verantwortung tragen und darum ihr Job lebenswichtig ist. Der Job einer Frau ist eh nur ein Hobby. Darum ist es auch moralisch in Ordnung, eine Frau aus dem Job rauszumobben, während es bei einem männlichen Kollegen unmoralisch wäre. Wie schön, dass die Leute eine Moral haben. Schlecht für mich, dass ich nicht unter deren Schutz stehe.
Geschichten-Manufaktur - 11. Jan, 09:46