Sonntag, 16. Juni 2013

Die Tolstois - eine Liebesgeschichte in Romanen

Sowohl Lew Nikolajewitsch Tolstoj als Sonja Tolstaja haben einen Roman über eine Dreiecksgeschichte geschrieben: "Anna Karenina" (er) und "Lied ohne Worte" (sie). Zufall? Die Gerüchteküche bezeichnet zumindest Sonjas Version als autobiographisch. Dass die Ehe der beiden nicht harmonisch verlief, ist sowieso kein Geheimnis. Spannend finde ich es nun, die beiden Romane miteinander zu vergleichen, weil sie auf so schmerzhafte Weise zeigen, wie Eheleute einander das Leben zur Hölle machen und auch warum sie es tun. Auch wenn die äußere Handlung und die Umstände der beiden Romane sich unterscheiden, möchte ich davon ausgehen, dass doch die Gefühle der Handelnden authentisch den Ehekrieg zwischen Lew und Sonja wiedergeben.

Wie es sich für gehört, wenn man eine wahre Geschichte in Literatur umwandelt, konzentrieren beide sich auf die aus ihrer Sicht wesentlichen Aspekte.

Sonja betont in ihrer Geschichte immer wieder die Grobheit und Gefühllosigkeit des tapsigen Gatten, der ihr das heiß geliebte Klavierspielen verbietet und dafür lieber mit bloßen Händen draußen in der Erde wühlt. Kein Wunder, wenn die Romanheldin Sascha sich in den sensibleren Pianisten verliebt, mit dem sie ihre große Leidenschaft teilt. Und doch muss sie leider herausfinden, dass auch diese Liebe schal wird, sobald man einander zu nahe kommt. Vor lauter Scham versucht die Heldin zu sterben, überlebt jedoch und begibt sich in eine Irrenanstalt. War dieses Ende eine Bitte an Lew "So nimm mich doch zurück"? Oder eben das Gegenteil, nämlich der Ausdruck hoffnungsloser Ausweglosigkeit?

Lew lässt Anna Karenina als eine Frau da stehen, die von zwei Männern abgöttisch und bis zur Selbstaufgabe geliebt wird. Sie brauchte sich nur zu entscheiden und könnte für immer glücklich leben. Und doch entscheidet sie sich grausamerweise nicht, gibt den Gatten nicht frei und terrorisiert den Geliebten mit Unterstellungen, er würde sie nicht lieben. Damit treibt sie beide in den emotionalen und gesellschaftlichen Ruin. Am Ende begeht Anna erfolgreich Selbstmord und es bleibt der bittere Geschmack im Mund, dass Lew seiner Frau den Tod wünschte.

Wer beide Romane gelesen hat, der weiß, dass beide - Sonja und Lew - nicht nur emotionale Menschen sind, sondern eben auch sensibel genug, um die Gefühle anderer zu verstehen. Warum haben sie jeder den anderen zu einem gefühllosen Dämon hochstilisiert? Wohl weil sie leider von ihren Jahren des Zusammenlebens und Unverständnis zermürbt und der Umgangston schon längst vor die Hunde gegangen war. Bei aller Sensibilität konnten sie die Wünsche des anderen nicht erfüllen, ohne sich selbst aufzugeben.
Sonja als Kind der Stadt und froh, einen Grafen geheiratet zu haben, muss miterleben, wie er während der Ehe die Spielregeln ändert. Sie ziehen aufs Land, Lew verlangt von sich und seiner
Umwelt immer mehr Askese, Armut, Verzicht, Veganismus. Sonja befürchtet nicht nur selbst zu verarmen, sondern fürchtet vor allem auch für die Zukunft ihrer dreizehn Kinder. Aber Lew ist wie gefangen in seinem Wahn, lebt wie ein Heiliger, mit der zugehörigen Weltabgewandtheit und Verantwortungslosigkeit.
Sonja, die deutlich Jüngere, hatte den berühmten Autor verehrt, doch diese Verehrung hat er selbst zerstört, als er ihr bereits wenige Tage nach der Hochzeit seine unanständigen Tagebücher zum Lesen gab. Von diesem Schock hat sie sich nie erholt, das Vertrauen war zerstört. Vielleicht versuchte Lew durch seine totale Wandlung ihre Achtung zurück zu erlangen, doch es war der falsche Weg und vielleicht auch zu spät.

Nach meiner Erfahrung ist es eines der tödlichsten Verbrechen, die man einer zwischenmenschlichen Beziehung antun kann, die Regeln zu ändern. Man ist nicht mehr derselbe Mensch wie zu Beginn, erwartet aber vom anderen, dass er dies akzeptiert und sich mit einem in dieselbe Richtung ändert. Normale Freundschaften zerbrechen daran, doch welche Wahl hat ein Ehepaar? Insbesondere damals mussten sie bis zum Irrsinn und Todeswunsch miteinander ausharren. Aua! Ich wünschte, sie hätten einen konstruktiveren Weg gefunden, einen vernünftigen Kompromiss. Dafür hätte ich sogar auf diese beiden wundervollen Romane verzichtet!

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