Donnerstag, 6. Juni 2013

Explosion

"Ich hab´s in den Nachrichten gehört", lobte Landwehr. "Prima Öffentlichkeitsarbeit, Luisa. Spätestens wenn die Reporter des Star Express anrufen, muss der Kapitän zum Nachdenken kommen."
Luisa lachte. "Nee, der war erstmal damit beschäftigt, sich als Helden aufzuspielen. Aber ganz von vorne... Der Lagerverwalter machte also Inventur in der Abteilung 'Socken und Schuhe'. Räumte alles in den Nachbarlagerraum. Bei meinem abendlichen Kontrollgang prüfte ich alle Zwischentüren und das Bullauge. Schrieb in meinen Bericht, dass die Fissur im Gummi sich erweitert hat und weiterhin Gas nach außen entweicht. Die Genehmigung zum Austausch der Dichtung fehlt mir leider immer noch. Ich bräuchte Personal dafür, die Sicherheitsvorschriften, Sie wissen ja. Ich konnte daher erstmal nichts machen als das Problem zu dokumentieren. Ich verließ den leeren Lagerraum um 21:13 Uhr. Morgens um 5:27 ging der Alarm los, wie ich später aus den Logfiles erfuhr. Zunächst mal ignorierte man ihn auf der Brücke und diagnostizierte einen Fehlalarm."
"Wurde niemand zum Lagerraum geschickt?"
"Nein und war vielleicht besser so. Diese bescheuerten Zivilisten hätten sonst womöglich erstmal die Tür geöffnet, um nachzusehen, und wären dann direkt zum Bullauge gesaugt worden, bevor sie was melden können. Mich informierte leider niemand. Um 6:30 Uhr mache ich sowieso meinen Kontrollgang. Zu diesem Zeitpunkt zog es schon unter der Tür des Lagerraums den Sauerstoff des Flurs nach draußen. Das hätte das Gerät auf dem Flur anzeigen müssen, aber ich fand, dass jemand es von Hand ausgeschaltet hatte, wohl weil ihn das Tuten störte. Bisher hat sich der Idiot aber noch nicht gemeldet, der das verbockt hat."
"Und was haben Sie getan?"
"Telefonat auf Brücke. Dort war jedoch Kaffeepause. Man brüllte mir ins Ohr, bei diesem Lärm könne sowieso keiner arbeiten. - Welcher Lärm? - Alarm in Lagerraum S. - Ja, da steh ich gerade. Zwei Mann her, aber dalli! - Hä?"
"Ist doch schön, so zu sterben. Bis zuletzt trinkt man in Ruhe seinen Kaffee und sieht es gar nicht kommen."
"Scheiße, wir hätten sterben können! Das bescheuerte Bullauge wurde komplett abgerissen und schrammte dabei einen der Treibstofftanks."
"Aufregend."
"Sie haben Nerven!"
"Na, die Tatsache, dass Sie telefonieren können, spricht dafür, dass das Schiff und Sie sich bester Gesundheit erfreuen."
"Das Gruselige ist, dass das Bullauge genau die Stelle traf, die ich neulich bei einer Reparatur verstärkt hatte."
"Was für eine beeindruckende Treffergenauigkeit."
"Verstehen Sie nicht? Ich hätte uns beinahe alle umgebracht!"
"Sie?? Das Bullauge war reif, das wäre sowieso rausgefallen."
"Ich hätte aber Klebstoff in den Riss spritzen können, solange ich auf Genehmigung zum Austausch warte! Mensch Landwehr, ich fühle mich total scheiße!"
"Und was ist mit den Nasen, die in Ruhe ihren Kaffee trinken, während die Leuchtorgel im Cockpit den Weltuntergangstango spielt?"
"Das sind Zivilisten, von denen kann man nicht erwarten..."
"Tun Sie nicht so als seien Sie die einzige Erwachsene in einem Kindergarten. Sie haben übrigens Ihre Geschichte nicht zu Ende erzählt. Was geschah, nachdem Sie auf der Brücke angerufen hatten?"
"Na, der Rest ist aus dem Lehrbuch. Zwei Leute gehen rein, einer bleibt draußen. Durch das Bullauge in der Tür hatten wir ja schon gesehen, welche Ersatzteile wir brauchten und die setzten wir dann ein, fertig. Ohne Erlaubnis zum Austauschen."
"Und wie kam die Presse an die Geschichte?"
"Muss einer der Passagiere gewesen sein, dem an seinem Leben was liegt. Bis wir raus kamen, hatten sich schon einige Reisende draußen versammelt. Ich sag doch, die haben ein Gespür entwickelt. Obwohl ich ihnen einschärfte, es sei nur eine Routinereparatur gewesen, bemerkte doch einer, dass das Alarmgerät an der Wand ausgeschaltet war und wir uns für eine Routinereparatur reichlich hektisch benommen hatten."
"Sie und hektisch?"
"Ich nicht, aber der Typ, der draußen im Flur Schmiere stand, betete wohl die ganze Zeit: 'Jesus, Maria, alle Heiligen, bitte lasst mich überleben, bitte lasst mich überleben...' Und wieder von vorne."
"Das ist tatsächlich eine ungewöhnliche Kommentierung einer Routinereparatur, haha. Und wie machte nun der Kapitän sich hier zum Helden? Er taucht in Ihrer Erzählung gar nirgends auf."
"Er war ja auch gar nicht dabei. Morgens vor 10 hat den noch keiner auf der Brücke gesehen. Um 7:30 Uhr saß das Bullauge wieder, das neue. Danach begab ich mich nach draußen, um mir eventuelle Schäden anzusehen. Daher weiß ich so genau, wo das Bullauge die Außenhaut gestreift hat. Um 8:30 Uhr war ich zurück. Da es sich bei dem leergepumpten Raum nur um ein Lager handelte, hatte ich eine kleine Athmosphärenflasche reingestellt, die sich allmählich entleerte. Um 8:30 holte ich sie wieder raus und ließ die Tür des Lagerraums offen, damit er sich der Athmosphäre des Flurs anpasste."
"Ja, und wo gibt es nun hier die Heldentat?"
"Es ist zu lächerlich. Der Käptn tauchte irgendwann nach 10 auf, als alles schon vorbei war und alle Werkzeuge längst wieder im Schrank hingen, alle Protokolle geschrieben. Und dieser Kerl, der weder Tod noch Teufel fürchtet, fing an zu phantasieren von Mikroben aus dem Weltall. Ich lachte erst, was er mir übel nahm. Er wollte mir weiß machen, es könnten Mikroben ins Schiff eingedrungen sein, die uns nun töten würden. Um ihn zu beruhigen, verwies ich ihn auf ein Testgerät, das ich irgendwo bei der Inventur gefunden hatte. Ich musste es ihm sofort holen, und zwar im Laufschritt. Dann zog er sich einen Raumanzug an - wusste natürlich nicht, wie man sowas anlegt, ist klar - und stürzte in den Lagerraum, um ihn auf Weltraummikroben zu prüfen. Sagen Sie mal, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem explodierenden Raum, der komplett leer gesaugt wurde, weit entfernt von jeglichem Planeten Weltraummikroben..."
"Durchaus möglich."
"Blöder Scherz!"
"Kann sein, alles kann sein."
"Und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit?"
"Sehr gering. Eins zu einer Million. Es gibt sogar Experten, die behaupten, es gäbe keine Weltraummikroben, sondern einfach nur giftigen Staub."
"Auch nicht besser."
"Und? Hat das Gerät angesprochen?"
"Ja, das hat es!" brüllte Luisa. "Verdammte Scheiße, das blöde olle Gerät, dessen Garantiezeit seit zwanzig Jahren abgelaufen war, verursachte einen Alarm! Können Sie sich das vorstellen? Ich konnte doch jetzt dem Kapitän nichts von einem Fehlalarm sagen und wie ungenau diese Messgeräte seien. Ich will doch in Zukunft vielleicht irgendwann noch ernst genommen werden von ihm!"
"Kann mir Ihren Zwiespalt gut vorstellen."
"Wir mussten also den gesamten scheiß Raum und den angrenzenden Flur desinfizieren. In den angrenzenden Räumen und Fluren schlug das Gerät zum Glück nicht an. Aber ich musste mir eine lange Standpauke anhören über meinen Leichtsinn. Ich habe Weltraummikroben ins Lager reingelassen und dann auch noch in den Rest des Schiffs. Dabei hätte ich als Sicherheitsingenieurin doch wissen müssen... blablabla. Kurz und gut, ich wurde wegen Gefährdung des Schiffes abgemahnt. Noch so n Ding und ich verliere meinen Job."
"Und über die defekte Dichtung haben Sie gar nicht gesprochen?"
"Ich fürchte, der Versuch hätte zu einer zweiten Abmahnung geführt. Ich hielt es für diplomatischer, nichts mehr zu sagen, sondern die Hacken zusammen zu schlagen, den Blick zu senken und wie ein geprügelter Hund davon zu schleichen."
"Ja, sowas mögen solche Chefs."
"Aber aus seiner Sicht hat er ja Recht. Ich hätte durchaus das Lager prüfen müssen, bevor ich die Tür offen stehen lasse."
"Und warum haben Sie es vergessen?"
"Warum, warum? Hängt denn hier alles nur an mir?"
"Nee, der Kapitän hat ja für Sie mitgedacht."
"Glauben Sie nicht, dass mir das egal ist. Ich mache sehr ungern Fehler."
"Weltraummikroben, hm. Das Fenster zum All stand eine Stunde lang offen. Möglich wär´s. Kann aber auch sein, dass er etwas anderes gemessen hat. Etwas, das an den Schuhkartons geklebt hatte. Haben Sie die Waren geprüft?"
"Landwehr, Sie sind ein Schatz! Natürlich, das ist die viel wahrscheinlichere Erklärung! Ich gehe gleich los. Falls da was ist, muss der Lagerverwalter dringend in Quarantäne."
"Und Sie wären fein raus, weil die Mikroben nicht Ihre Errungenschaft sind."
"Fahrlässig war ich trotzdem."
"Selbstkritik ist vorbildlich, aber ungesund. Messen Sie mal schön."
"Blöd ist nur, dass das Messgerät noch beim Kapitän ist. Er trägt es Tag und Nacht bei sich, sein neues Spielzeug."
"Sie machen das schon!"

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Aufenthalt im Weltall...
Für alle Autoren von Science Fiction Literatur könnte...
Geschichten-Manufaktur - 31. Okt, 10:19
Ja, dürfte hier und da...
Ja, dürfte hier und da im Spam gelandet sein. Alles...
skydance - 29. Mai, 10:40
Oop, danke für die Warnung!...
Oop, danke für die Warnung! Bei mir war keine Information...
AndreaHerrmann - 29. Mai, 08:54
Hallo, das ist ein kurzes...
Hallo, das ist ein kurzes Heads-Up an die Immernoch-Blogger:...
skydance - 28. Mai, 20:36
Verbreitung schlechter...
Durch das Internet verbreiten sich Informationen, aber...
Geschichten-Manufaktur - 25. Mai, 10:24

Suche

 

Status

Online seit 6542 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 31. Okt, 10:23

Credits


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren