Neusein
"Ich hasse es, neu zu sein!" beklagte sich Luisa. "Man mutiert plötzlich zum Idioten."
"Erzählen Sie, Kindchen."
"Dieses Schiff ist ein Labyrinth. Immer mal wieder wurden irgendwo Zwischendecken eingezogen, Treppenhäuser dicht gemacht oder Türen verschweißt. Die Aufzüge führen nicht durch den gesamten Koloss, sondern immer nur über ein paar wenige Etagen. Anfangs legte ich vom Mannschaftsquartier zur Brücke einen recht komplizierten Weg zurück, nämlich den, den mir mein Zimmergenosse Mark am ersten Tag gezeigt hatte. Eines Tages, als der Käptn mich mal wieder aus meiner Ruhezeit heraus auf die Brücke zitiert hatte, um mir die Navigationsdaten anzusehen, schnauzte er mich an, warum ich so lange brauche für die 200 Meter. Ich erklärte ihm, dass die 200 Meter ja wohl nur Luftlinie seien und man genau genommen 500 Meter zu gehen hat, wenn man über die Gewächshäuser geht. Er rollte nur die Augen als sei ich bescheuert oder aufsässig. Daraufhin besorgte ich mir einen Plan des Schiffs. War gar nicht so einfach, denn der Link im Intranet führte ins Leere, der Admin fühlte sich nicht zuständig für den Lageplan. Der läge im Verantwortungsbereich des Sicherheitsingenieurs. Als ich diesen kontaktierte, hörte ich, dass er seit Wochen krank geschrieben sei, ich solle ihm eine E-Mail schreiben. Als ich schließlich zwei Monate nach Dienstbeginn einen Lageplan besaß, stellte ich fest, dass es einen direkteren Weg zur Brücke gibt, der tatsächlich nur 200 Meter misst. Als ich Mark fragte, warum er mir nie den kürzeren Weg verraten habe, obwohl doch oft genug über den unnötigen Umweg geklagt hatte, meinte er grinsend, er habe gedacht, den kenne ich schon und würde gerne ein wenig in der Frischluft spazieren gehen. Danke!"
"Absicht oder nicht, was denken Sie?"
"Pures Chaos. Mein Vorgesetzter glaubt, dass meine Zimmerkollegen mich einweisen, während die denken, das mache mein Chef. Und so setzen sie dauernd voraus, dass ich alles schon weiß, das sie wissen. Das führt immer wieder zu unangenehmen Situationen. Beispielsweise die Informationen, die beim Wachwechsel zu übergeben sind. Natürlich sind diese nicht so detailliert wie beim Militär. Ich habe aber die Vorschriften des Schiffs dazu gefunden und auswendig gelernt. Und mich daran gehalten. Der Wachwechsel rollte immer nur die Augen, bis ich mal meinen Vorgesetzten fragte, welche Informationen üblicherweise zur Übergabe gehören. Nun, das sind recht wenig. Inzwischen galt ich als Zahlenfetischistin, weil ich meinem Nachfolger Daten übergebe, die üblicherweise nicht zum Wachwechsel gehören. Mein Chef lachte mich sogar aus und meinte, wenn ich ein echter Profi sei, dann hätte ich wissen müssen, was üblich ist. Mein Hinweis, dass wir beim Militär andere Vorgaben haben und ich mich hier an die schriftlichen Schiffs-Regeln gehalten habe, führte nur zu einem Lachanfall seinerseits als sei es völlig abwegig, Vorschriften überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Er hat nie auf einem anderen Schiff gedient, klar. Ich glaube, er hat diese inoffiziellen Regeln sogar gemacht. Weil sie seiner Meinung nach die einzigen sind, die in diesem Universum sinnvoll sind."
"Ich verstehe, was Sie meinen. Und dieses Prinzip zieht sich vermutlich durch die gesamte Zusammenarbeit."
"Jepp. Ich passe mich zwar nach und nach an, aber habe dafür zu lange gebraucht. Der erste Eindruck verknöchert zu leicht. Sie achten jetzt bei allem was ich tue darauf, ob ich wieder zu viele Zahlen verwende oder umständlich arbeite. Oder mich ganz idiotisch an Regeln halte, die keiner außer mir beachtet. Sie lassen mich immer wieder auflaufen. Die ungeschriebenen Regeln erfahre ich erst nach und nach."
"Und? Halten Sie durch bis zur Erde?"
"Niemals!" japste Luisa. "Ich gehe von Bord, sobald sich die Gelegenheit bietet."
"Machen Sie aber keinen Blödsinn."
"Selbstmord? Quatsch. Aber wir befinden uns auf der Hauptroute. Da wird uns doch wohl mal ein anderes Schiff entgegen kommen. Oder uns überholen. Wenn mal wieder der Antrieb ausfällt."
"Sieht Ihr Vertrag denn einen vorzeitigen Abgang vor?"
"Man wird ja wohl einen Vertrag auflösen können!"
"Nicht wenn man Sie dringend braucht!"
"Mich braucht hier keiner. Ich mache doch sowieso alles falsch."
"Ohren steif halten, Kleines. Sie haben bloß dieses eine Leben. Lassen Sie es sich nicht von engstirnigen Platzhirschen verderben. Irgendwo muss sich auf dieser Rostkiste ja auch der Spaß versteckt halten."
"Oho, aber wie! Die saufen hier wie schwarze Löcher! Hab ich keine Lust drauf."
"Sie wissen, dass Sie sich anpassen oder Außenseiterin bleiben müssen. Und wenn Sie sich jetzt noch anpassen wollen, dann aber 150%."
"Kein Bisschen meiner Persönlichkeit darf mehr durchschimmern?"
"Exakt."
"Danke, Sie sind mal wieder ein echter Goldschatz, der weiß, wie man Menschen aufmuntert."
"Immer doch", lachte er. "Aber vielleicht finden Sie in dem Haufen von Zivilisten doch noch einen Typen, der etwas taugt und Sie zum Lachen bringt?"
"Hm", machte Luisa. "Mal sehen."
"Erzählen Sie, Kindchen."
"Dieses Schiff ist ein Labyrinth. Immer mal wieder wurden irgendwo Zwischendecken eingezogen, Treppenhäuser dicht gemacht oder Türen verschweißt. Die Aufzüge führen nicht durch den gesamten Koloss, sondern immer nur über ein paar wenige Etagen. Anfangs legte ich vom Mannschaftsquartier zur Brücke einen recht komplizierten Weg zurück, nämlich den, den mir mein Zimmergenosse Mark am ersten Tag gezeigt hatte. Eines Tages, als der Käptn mich mal wieder aus meiner Ruhezeit heraus auf die Brücke zitiert hatte, um mir die Navigationsdaten anzusehen, schnauzte er mich an, warum ich so lange brauche für die 200 Meter. Ich erklärte ihm, dass die 200 Meter ja wohl nur Luftlinie seien und man genau genommen 500 Meter zu gehen hat, wenn man über die Gewächshäuser geht. Er rollte nur die Augen als sei ich bescheuert oder aufsässig. Daraufhin besorgte ich mir einen Plan des Schiffs. War gar nicht so einfach, denn der Link im Intranet führte ins Leere, der Admin fühlte sich nicht zuständig für den Lageplan. Der läge im Verantwortungsbereich des Sicherheitsingenieurs. Als ich diesen kontaktierte, hörte ich, dass er seit Wochen krank geschrieben sei, ich solle ihm eine E-Mail schreiben. Als ich schließlich zwei Monate nach Dienstbeginn einen Lageplan besaß, stellte ich fest, dass es einen direkteren Weg zur Brücke gibt, der tatsächlich nur 200 Meter misst. Als ich Mark fragte, warum er mir nie den kürzeren Weg verraten habe, obwohl doch oft genug über den unnötigen Umweg geklagt hatte, meinte er grinsend, er habe gedacht, den kenne ich schon und würde gerne ein wenig in der Frischluft spazieren gehen. Danke!"
"Absicht oder nicht, was denken Sie?"
"Pures Chaos. Mein Vorgesetzter glaubt, dass meine Zimmerkollegen mich einweisen, während die denken, das mache mein Chef. Und so setzen sie dauernd voraus, dass ich alles schon weiß, das sie wissen. Das führt immer wieder zu unangenehmen Situationen. Beispielsweise die Informationen, die beim Wachwechsel zu übergeben sind. Natürlich sind diese nicht so detailliert wie beim Militär. Ich habe aber die Vorschriften des Schiffs dazu gefunden und auswendig gelernt. Und mich daran gehalten. Der Wachwechsel rollte immer nur die Augen, bis ich mal meinen Vorgesetzten fragte, welche Informationen üblicherweise zur Übergabe gehören. Nun, das sind recht wenig. Inzwischen galt ich als Zahlenfetischistin, weil ich meinem Nachfolger Daten übergebe, die üblicherweise nicht zum Wachwechsel gehören. Mein Chef lachte mich sogar aus und meinte, wenn ich ein echter Profi sei, dann hätte ich wissen müssen, was üblich ist. Mein Hinweis, dass wir beim Militär andere Vorgaben haben und ich mich hier an die schriftlichen Schiffs-Regeln gehalten habe, führte nur zu einem Lachanfall seinerseits als sei es völlig abwegig, Vorschriften überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Er hat nie auf einem anderen Schiff gedient, klar. Ich glaube, er hat diese inoffiziellen Regeln sogar gemacht. Weil sie seiner Meinung nach die einzigen sind, die in diesem Universum sinnvoll sind."
"Ich verstehe, was Sie meinen. Und dieses Prinzip zieht sich vermutlich durch die gesamte Zusammenarbeit."
"Jepp. Ich passe mich zwar nach und nach an, aber habe dafür zu lange gebraucht. Der erste Eindruck verknöchert zu leicht. Sie achten jetzt bei allem was ich tue darauf, ob ich wieder zu viele Zahlen verwende oder umständlich arbeite. Oder mich ganz idiotisch an Regeln halte, die keiner außer mir beachtet. Sie lassen mich immer wieder auflaufen. Die ungeschriebenen Regeln erfahre ich erst nach und nach."
"Und? Halten Sie durch bis zur Erde?"
"Niemals!" japste Luisa. "Ich gehe von Bord, sobald sich die Gelegenheit bietet."
"Machen Sie aber keinen Blödsinn."
"Selbstmord? Quatsch. Aber wir befinden uns auf der Hauptroute. Da wird uns doch wohl mal ein anderes Schiff entgegen kommen. Oder uns überholen. Wenn mal wieder der Antrieb ausfällt."
"Sieht Ihr Vertrag denn einen vorzeitigen Abgang vor?"
"Man wird ja wohl einen Vertrag auflösen können!"
"Nicht wenn man Sie dringend braucht!"
"Mich braucht hier keiner. Ich mache doch sowieso alles falsch."
"Ohren steif halten, Kleines. Sie haben bloß dieses eine Leben. Lassen Sie es sich nicht von engstirnigen Platzhirschen verderben. Irgendwo muss sich auf dieser Rostkiste ja auch der Spaß versteckt halten."
"Oho, aber wie! Die saufen hier wie schwarze Löcher! Hab ich keine Lust drauf."
"Sie wissen, dass Sie sich anpassen oder Außenseiterin bleiben müssen. Und wenn Sie sich jetzt noch anpassen wollen, dann aber 150%."
"Kein Bisschen meiner Persönlichkeit darf mehr durchschimmern?"
"Exakt."
"Danke, Sie sind mal wieder ein echter Goldschatz, der weiß, wie man Menschen aufmuntert."
"Immer doch", lachte er. "Aber vielleicht finden Sie in dem Haufen von Zivilisten doch noch einen Typen, der etwas taugt und Sie zum Lachen bringt?"
"Hm", machte Luisa. "Mal sehen."
Geschichten-Manufaktur - 4. Dez, 11:09