Sonntag, 26. August 2012

Krieg der Türen

Luisa stützte den Kopf in die Hand. Allmählich begann sie, die Marsianer zu hassen. Anfangs hatte sie noch amüsiert beobachtet, wie diese Menschen, seit Jahren oder Jahrzehnten von der irdischen Gesellschaft getrennt, ihre eigene Sprache, Kultur und Marotten entwickelt hatte. Nun jedoch war bei ihr das Maß voll. Beim Militär hatte selbst das Faustrecht noch irgendwelchen ungeschriebenen Gesetzen gehorcht, die sich in Jahrhunderten etabliert hatten. Doch hier auf dem Mars galt das nackte Faustrecht des Psychoterrors. Luisa wünschte sich, diese Typen würden die Sache mit den Fäusten austragen wie Männer. Ein bärtiger Typ in schmieriger Latzhose hatte ihr in der Kneipe erklärt, das ginge nicht, weil bei einer Prügelei der Raumanzug Schaden nehmen könne. Luisa deutete an, dass man erstens passende Kampftechniken entwickeln könne, zweitens bei einem Kampf auf Leben und Tod sowas dazu gehöre und man drittens ja eine klimatisierte Sporthalle mieten könne, um sich zu prügeln. Alles war besser als diese ständigen kindischen Gemeinheiten. Sehr beliebt war es, fremdes Eigentum mit Kot zu beschmieren. Luisa fragte sich immer noch, wie sie das praktisch realisierten. Der Bärtige in der Latzhose hatte es ihr nicht erklären wollen, sondern nur gekichert und gesagt, das sei kein Thema für eine Dame. Luisa hatte ihm einen Nasenstüber verpasst und war ins Fitnesscenter gegangen, um zu trainieren. Sie musste sich austoben, bevor sie noch austickte, sich in Konflikte stürzte, die sie nichts angingen, und womöglich jemandem einen Kratzer in den Raumanzug machte.

Heute, Sonntag, ging es schon wieder los. Hatten die an ihrem freien Tag nichts Besseres zu tun als Türen zuzuknallen? Eigentlich hätte sie erwartet, dass die Türen auf dem Mars alle luftdicht und schallgedämpft mit einem sachten "Plopp" ins Schloss fallen würden. Von wegen. Gummi vertrug die Athmosphäre und Temperaturschwankungen hier oben schlecht, selbst in den Innenräumen. Und so musste man die schweren Metalltüren der einzelnen Wohnungen sachte schließen, damit es nicht knallte. Was natürlich schwierig war, wenn man gerade einen vollen Wäschekorb mit beiden Händen balancierte oder eine schwere Kiste voll Einkäufe nach Hause brachte. Vor drei Monaten fiel ein Mal pro Woche jemandem die Türe zu. Inzwischen... Tja! Man schien grundsätzlich beim Verlassen der Wohnung die Tür mit Schwung zuzuschmettern. Und die Bestrafung folgte sofort: in den Etagen drüber und drunter rannten die Bewohner zu ihrer Wohnungstür, um diese ebenfalls zuzuknallen. Luisa fragte gar nicht erst, was das sollte. Es war doch offensichtlich. Man bestrafte den anderen, indem man ihn nachahmte. Um ihn zu erziehen. Und dies war gründlich schief gegangen, denn die Unart des Türenknallens eskalierte. Für eine aus Versehen zu geknallte Tür wurden drei andere absichtlich geknallt und für eine absichtlich geknallte Tür sowieso. Luisa wunderte sich eigentlich nur noch, dass die anderen nicht den ganzen Tag durchhielten. Das Beste aber war, dass der alte Mann im Erdgeschoss sie für die Hauptverursacherin zu halten schien. Denn ein Mal kam ein Nachbar nach Hause, knallte die Tür hinter sich zu. Zufällig im selben Moment verließ Luisa ihre Wohnung in Richtung Wäschekeller, wobei sie an der offenen Tür im Erdgeschoss vorbei kam. Als sie mit leeren Händen aus dem Wäschekeller zurück kehrte, stand der Nachbar in der offenen Tür, Luisa grüßte freundlich, aber er schhlug ihr nur mit viel Schmackes seine Tür vor der Nase zu. Und leider erst da fiel Luisa ein, dass es taktisch unklug gewesen war, ihre Wohnung kurz nach einem Türenknallen zu verlassen. Noch mehr ärgerte sie sich über sich selbst - Moment mal, warum über sich selbst? - als tags darauf an ihrem Scooter sowohl die Griffe als auch der Sitz mit einer erdig-schleimigen Substanz verschmiert waren, die zwar nicht nach Kot rochen, aber doch so aussahen. Bevor sie fort fahren konnte, musste sie also erstmal wieder hoch und ihr Putzzeug holen. Als sie im Erdgeschoss vorbei kam, zuckte ihr Bein einen kurzen Moment lang in dem Impuls, gegen diese Tür dieses verdammten Nachbarn zu treten. Aber sie beschloss, dass wenn sie schon die Eskalation der Situation nicht beeinflussen konnte, sie immerhin nicht alles noch verschlimmern wollte. Sollte dieser verbitterte Kerl doch Krieg gegen die ganze Welt führen, sie wollte mit seinem blöden Krieg nichts zu tun haben.
So wirklich daraus zurück ziehen konnte sie sich allerdings auch nicht, wenn an einem schönen Sonntag im Stundentakt mehrere Türen rummsten. Es ärgerte sie, dass Erwachsene sich dermaßen dämlich benahmen. Und sie fragte sich, ob ihr Freund im Erdgeschoss ihr für diesen Lärm auch wieder die Verantwortung zuschieben würde. Luisa seufzte. Konnte man nicht mal auf dem Mars seine Ruhe haben? Musste man wirklich im eisigsten Schatten eines erkalteten Vulkans biwakieren um keinen Spinnern zu begegnen? Vielleicht sollte sie sich aber auch für eine zweijährige Erkundungsfahrt in die wirklich menschenleeren Gegenden des Universums melden. Diese Jobs wurden gut bezahlt und das Essen war vorzüglich. Dank Internet musste man nirgends allein sein, konnte es aber, wenn man wollte. Man versteckte sich dann einfach hinter einem guten alten Net Split.

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