Wenn Landwehr allein in seinem Bett lag und ins Dunkel starrte, bis er lauter kleine grüne Galaxien sah, da gab er vor sich selbst zu: Nein, er konnte sich nicht selbst operieren, und das störte ihn. Ausnahmsweise hing er von anderen ab. Er musste ihnen vertrauen und darauf hoffen, dass sie das Beste taten. Und das konnte er nicht. Er hasste es, dass so viel von ihnen abhing und er so hilflos war.
Diesem Burschen fehlte offensichtlich der Schneid. Als Landwehr seien Fuß entblößte mit dem humorigen Kommentar: "Mission accompished, zu schützendes Objekt ist abgeschwollen", warf der Orthopäde einen angewiderten Blick auf die knollenförmige Zehe und tastete ratlos mit Fingerspitzen an ihren sauberen Stellen herum. Offensichtlich hatte sich die Entzündung zurück gezogen, denn der Zeh hatte die Farbe von rosafarbener Haut angenommen und auch wieder die normale Temperatur. Trotzdem war und blieb er dick und knubbelig.
"Und?" fragte Landwehr stolz auf sich und hoffnungsfroh. "Wann ist Schlachtfest, also Operation?"
Der Arzt zuckte und murmelte: "Wir müssen erstmal Wundsalbe drauf tun, dann zieht sich das Wundgewebe zurück."
"Nee, das zieht sich nicht zurück. Haben Sie den Bericht nicht gelesen? Das muss operiert werden, der ganze Nagel fort und auch das Nagelbett."
Hastig nuschelte der Mann in Weiß: "Müssen wir mal sehen, vielleicht kerben wir nur den Nagel ein wenig ein."
Bevor Landwehr widersprechen konnte, ließ ihn der Herr Doktor allein mit der Gehilfin, die ihm noch eine Tetanusimpfung in den Hintern jagte. Er durfte sich auf Freitag einen neuen Termin geben lassen.
Diese Bummelei machte Landwehr nervös. Da hatte man mitten in der Operation abgebrochen, weil man sich mehr Zeit für die Schnippelei nehmen musste, und er wurde mit Wundsalben abgespeist. Traute sich dieser junge Mann die Operation überhaupt zu? Hatte er schonmal jemanden operiert? Hatte er überhaupt den Bericht gelesen oder ihn nicht doch verdächtig schnell wieder auf den Tisch gelegt? Hatte er ihn vielleicht sogar wie ein Analphabet nur kurz vors Gesicht gehalten?
Landwehr hatte sämtliches Vertrauen verloren in diesen Menschen, der offensichtlich nach ständig neuen Ausreden suchte, um die ohnehin notwendige Operation hinaus zu schieben. Er sollte sich einen echten Schlächter suchen, jemanden, der täglich mehrere Menschen filetierte und für den es eine nette kleine Abwechslung wäre, mal nur einen Zeh auseinander zu nehmen. Etwas, das man erledigte, wenn man zwischen zwei halbtägigen OPs noch einen kurzen Zeitslot übrig hatte für niedliche, filigrane Fingerübungen.