Dienstag, 9. März 2010

Coaching zum Dritten und Letzten

Jaaa, ich weiß, ich bin etwas langsam im Denken.
Mir war ganz entfallen, warum ich gegen diesen Coaching-Kram so allergisch bin. Weil meine Erfolgsstrategie schon immer eine andere war. Mich bringt es nicht weiter, akribisch nach meinen Fehlern zu suchen ("Bei Folie 8 haben Sie den rechten Zeigefinger ausgestreckt. Das tut man nicht!") und durch penible Strafen meine Unarten abzutrainieren ("Himmelarschundzwirn, Sie haben schon zum 85ten Mal Ihren Zeigefinger ausgestreckt! Wollen Sie die armen Zuhörer denn erstechen???"). Nein, meine Strategie funktioniert umgekehrt: Loslassen! Zwei Beispiele:
Früher war ich ziemlich pummelig, Hosengröße 44, fremde Leute zeigten mit dem Finger auf mich und gröhlten: "Sieh mal die fette Sau!" Was tut das Moppelchen dann? Geht nach Hause und tröstet sich mit Süßigkeiten. Mit Anfang 20 raffte ich mich dazu auf, mich mit meinem Übergewicht abzufinden, denn Hunger vertrage ich ganz schlecht. Ich bin dick, na und? Was soll ich sagen... Wenige Monate später hatte ich meine Traumfigur. Seither nehme ich jedes Jahr noch ein wenig ab. OK, neulich war ich wieder etwas fülliger, ich backe wohl zu viele Kuchen. Aber das wird wieder. Warum? Weil ich meinen Körper mag und ihm darum das gönne, was er mag. Gesundes Essen, viel Flüssigkeit, Sport. Seit ein paar Jahren esse ich sogar keinen Zucker mehr, danach ging das Gewicht nochmal um eine Hosengröße runter. (Genauer weiß ich es nicht, ich steige auf keine Waage.)
Und was meine Vorträge angeht, oh je. Durch wie viele Präsentationskurse ich mich gequält habe, habe ich nicht gezählt. Ein wenig hat es etwas gebracht. Ich habe gelernt, bei einem Vortrag auf zwei Beinen zu stehen statt auf einem. Aber vor allem wuchs mein Bewusstsein darüber, wie schrecklich langweilig meine Vorträge sind. Sorry, ich kann nix dafür, ich BIN nun mal ein am Rechner lebender Nerd, der sich nur schriftlich auszudrücken weiß. Ich kann weder Witze erzählen noch Politiker imitieren. Wenn ich eine Geschichte erzähle, ratzen die Leute im Stehen ein oder flüchten ans Buffett. Wie sollte ich toll vortragen können? Also habe ich meine Ansprüche an mich selbst herunter geschraubt. So lange mein Vortrag inhaltliche Substanz hat, werde ich ja wohl langweilig sein dürfen, finde ich. Ich halte schlaftablettenmäßige Vorträge, na und? Entweder der Inhalt interessiert euch oder pennt doch! Seitdem bin ich bei Vorträgen lockerer und wenn das Publikum bereit ist mitzugehen, dann gibt´s ein Feuerwerk. Weil ich mich nämlich auf das Wesentliche konzentriere. Darauf, mein Zeugs zu erzählen und zuzusehen, dass ich verstanden werde. Hände in den Hosentaschen, auf einem Bein stehen, alles Details, die mich selbst von meinem eigenen Vortrag ablenken. Ich glaube nicht, dass man sich selbst während eines Vortrags kritisch beobachten sollte. Das überträgt sich aufs Publikum, die fangen dann auch noch damit an. Und genau diese brutale Selbstbeobachtung haben mich die diversen Kurse gelehrt. Nicht schön. Tut mir nicht gut.
Ja, ich weiß. Ein guter Coach bauchpinselt und lobt seinen zahlenden Kunden auch. Baut sein Selbstbewusstsein auf. Aber mir scheint, dass diejenigen, die mir unbedingt Coaching andrehen wollen, selbst an einem verzerrten Selbstbild leiden. Sehen ihre Stärken da, wo ich eher wenig entdecken kann. Was reden die in diesem Coaching eigentlich? Lügen sich gegenseitig die Tasche voll??

Von positivem Denken halte ich wenig. Das verlangt doch Selbstbetrug und den Abschied von realistischem Selbstbild. Natürlich ist das auch ein Weg, um sich von der Selbstbeobachtung zu befreien. Man nimmt einfach an, man sei schon perfekt. Ich glaube aber nicht, dass die Leute meine Vorträge als langweilig wahrnehmen, nur weil ich denke, dass sie langweilig sind. Es ist eher umgekehrt. Ich sehe, die Leute langweilen sind, also weiß ich, dass ich langweilig vortrage. Aber nicht umgekehrt. Also nicht so, dass ich mir einbilde, langweilig zu sein und deshalb so wirke. Falls Sie verstehen, was ich meine. :-) ICH selbst langweile mich bei meinen Vorträgen niemals. Weil ich über spannende Themen vortrage, ist doch klar. Sonst würde ich mich ja nicht freiwillig melden.

Ich denke, letztlich ist es wurscht, ob ich da vorne hin trete und weiß, ich bin schlecht, aber es ist egal. Denn ich bin dann locker. Oder ob ich mir einrede, ich sei schon perfekt. Dann bin ich auch locker. In letzterem Fall muss ich aber arg aufpassen, dass mein Selbstbetrug nicht mal auffliegt.

Letztlich - und das ist mein Schlusswort - bringt es doch nichts, als jemand scheinen zu wollen, der man nicht ist. Irgendwann fliegt der Bluff doch sowieso auf. Und Lügner müssen ein gutes Gedächtnis haben (was mir fehlt). Wenn man etwas ändern will, dann sollte man sich auf das Sein konzentrieren und nicht den Schein. Und Veränderung gibt es nur durch Handeln. Nach diesem Ansatz coache ich mich selbst.

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