Und da ich gerade so mitteilungsfreudig bin, möchte ich mich noch auslassen über eine Beobachtung, die mich immer wieder fasziniert. Ich könnte stundenlang darüber philosophieren, wo der Unterschied zwischen dem echten Leben und einem Roman liegt. Einer davon ist, dass im Leben die Handlungsstränge anders verwoben sind. Im Roman müssen ja alle parallelen Handlungen zum selben Zeitpunkt zu ihrem Abschluss kommen. Nämlich am Ende des Buchs. Punkt. Selbst dann, wenn es sich um eine mehrbändige Reihe handelt, gilt das zumindest für die meisten der Handlungen. Und wenn eine Krise passiert, dann geht alles gleichzeitig den Bach runter. Und wenn es gut läuft, läuft alles gut, einschließlich dass die Sonne scheint und das Essen schmeckt. Im Leben mischt sich das alles stärker. Wie im Hohn scheint da manchmal die Sonne, während jemand stirbt. (Was ich übrigens in meinen Romanen darum auch ganz gerne mal passieren lasse. Ich finde es noch grausamer als wenn zum Tod der Himmel weint.)
Mitten in meiner Totalkrise lief doch immerhin die Leserunde ganz gut. Und ein paar andere Kleinigkeiten habe ich auch schön über die Runde gebracht. Leider zählen sie wenig im Vergleich zu den Großkatastrophen, aber immerhin. Im Roman wäre sowas nicht passiert.
Ohne in die Details gehen zu wollen, beobachte ich die Handlungsstränge in meinem Leben inzwischen auch ein wenig so wie diejenigen in meinen Romanen. Und ich steuere sie auch ähnlich. Beispielsweise kann man ihre Geschwindigkeit meist ganz gut regulieren, indem man manches drängt, manches hinauszögert, anderes parallel passieren lässt. Spannend. Vermutlich sollte ich meinen Vortrag "über die Ähnlichkeit zwischen der Leitung eines Software-Projektes und dem Schreiben eines Romans" nochmal überarbeiten zu einem Vortrag über "Wie man einen Roman und sein eigenes Leben steuert". Romane mag ich übrigens trotzdem lieber. Da kann ich leichter ein Wunder oder eine positive Überraschung einstreuen. Im Leben kann ich nur darauf hoffen, so lange sie von den anderen kommen müssen. Und selbst die positiven Überraschungen, die ich selbst einwerfe, prallen oft an anderen ab. Im Roman kann ich auch mal einen Dummen klug werden lassen, einen Unnachsichtigen einsichtig, einen Harten weich. Im echten Leben habe ich noch nicht heraus, wie ich das schaffe. Aber ich arbeite dran. Ich glaube, neulich habe ich jemanden besänftigt. Ohne mich in Sicherheit wiegen zu wollen. Seufz! Ich schreibe weiter an dem Roman, der mein Leben ist.
So, und jetzt noch in einem separaten Posting ein paar Überlegungen zu Lesungen. Nur weil ich die letzten Wochen wenig gebloggt habe, heißt das nicht, dass ich nichts Interessantes gemacht habe. Eher umgekehrt. Je beschäftigter ich mit Wichtigerem bin, umso weniger wird gebloggt. Letzte Woche lief eine virtuelle Leserunde meiner "Aschenpuhlerin" in einem Bücherforum (http://www.steffis-buecherkiste.de/lrf/).
Das war sehr spannend, denn die Mädels dort sind Leseprofis und lesen sehr viel. Sie hatten meinen Roman in einer Woche durch. Wie ich immer sage: Mit dem Schreiben ist es wie mit dem Kochen. Man verbringt Stunden in der Küche und in einer halben Stunde ist alles verputzt. Aber das Lesen hat wohl Spaß gemacht. Uff, das ist gut! Genau so war der Roman gedacht. Ich habe ihn vor zehn Jahren geschrieben. Damals ging es mir noch vor allem um den Spaß. Da war ich noch jung und hatte noch nicht so sehr viel Lebenserfahrung, die ich verpacken konnte. Inzwischen bin ich ja eine weise alte Frau mit einer weißen Haarsträhne. Doch, ehrlich, hier rechts oben. Jedenfalls hat mich mal wieder überrascht, wie anders ich meinen Roman sehe als die Leserin. Da ich ja den Roman mehrmals gründlich überarbeitet habe, sind für mich die teilweise echt neuen und witzigen Ideen dort schon alte Hüte. Spannend zu lesen finde ich ihn übrigens nach wie vor. Aber eben nicht neu. Die Leserinnen schon. Andererseits sehe ich über manchen Fehler des Buchs nachsichtig hinweg wie bei einem guten alten Freund, den man nicht mehr zu ändern versucht. Was mir weitere Argumente dafür liefert, warum ich immer sage, dass man an einem Roman nicht zu lange arbeiten sollte, sondern das Projekt möglichst schnell durchziehen. Abgesehen natürlich von strategisch sinnvoll platzierten Reifephasen, beispielsweise zwischen dem Schreiben der ersten Version und der ersten Überarbeitung. Dort, wo gerade meine Fantasy-Trilogie festhängt. *räusper*
Aber noch etwas zu Lesungen: Abgesehen davon, dass ich in den letzten Monaten aus Zeitmangel nur wenige Vorstöße uternehmen konnte, um auf Betteltour zu gehen und um die Gelegenheit zu betteln, meinen Roman in einer Lesung vorstellen zu dürfen, habe ich auch ein wenig Zweifel, ob sich das Engagement lohnt. Ich renne mir die Hacken ab, telefoniere die Finger wund, bequatsche Leute und am Ende investieren wir alle (Veranstalter und ich) Zeit und auch Geld für eine Veranstaltung, zu der sowieso nur meine besten Freunde kommen und die besten Freunde des Veranstalters. Zu mehr Andrang kommt es nur, wenn der Autor richtig berühmt ist. Ehrlich gesagt gehe ich selbst auch so gut wie nie zu Lesungen von Leuten, die ich nicht persönlich kenne.
Dazu fehlt mir einfach die Zeit, so sehr ich die Atmosphäre bei diesen Veranstaltungen auch liebe. Ich möchte auf jeden Fall mehr im Internet machen, denn dort treiben sich so viele LeserInnen herum! Da muss man sie abholen.
Ich vergaß das Selbstverständliche zu erwähnen:
Bei Frost und Dürre, bei Sturm und Erdbeben... Ich schreibe.
Leider komme ich nicht dazu, meine Fantasy-Trilogie zu überarbeiten, weil immer noch das Überarbeiten wissenschaftlicher Veröffentlichungen meine diesbezüglichen Ressourcen erschöpft. (A propos erschöpft: Krank war ich ja auch noch.) Aber wie jemand so schön schrieb: Ein Autor ist jemand, der nicht anders kann als zu schreiben.
Tatsächlich nutze ich gerade die Tatsache, dass der Stress nachlässt, dazu, wie in den guten alten Zeiten wieder an jede Mittagspause eine halbe Stunde dranzuhängen, in der ich meinen neusten Roman weiterspinne. Das ist so unglaublich (ent)spannend! Keine falschen Gerüchte: Natürlich arbeite ich diese halbe Stunde abends rein.
Ein wenig unglücklich ist, dass ich gerade zwei neue Romane begonnen habe. Einen psychologischen Märchenroman und einen Fantasy-Roman über meine Berufserfahrungen. Vor Jahren meinte jemand zu mir: "Ich verstehe nicht, warum Du Fantasy schreibst.
Das kann doch jeder. Berichte doch über Deine Berufserfahrungen. Nicht viele Schriftsteller können über dieses Thema erzählen." Meine spontane Antwort war: "Aber das tue ich doch!" Kam zurück: "Nein, tust Du nicht. Du schreibst Fantasy." Zunächst dachte ich, dass ich ja meine Geschichten genauso gut auch in einem realistischen Umfeld spielen lassen kann. Wenn es die Leute interessiert. Ich will ja schließlich Leser glücklich machen. Ich habe auch schon mindestens ein Dutzend
Romanhandlungen entworfen oder erste Kapitel getippt, aber weit bin ich nie gekommen. Gedacht waren diese Geschichten ja als Milieustudien. Aber jedes Mal, wenn ich sie mit den Augen anderer ansah, schnürte es mir den Hals zu vor Panik. Erstens weiß ich ja, dass die Leser grundsätzlich denken, alles worüber mein schreibt, könne wortwörtlich so stattgefunden haben. Und danach suchen sie ja direkt, insbesondere auch, um (meist falsche) Schlussfolgerungen über meine Persönlichkeit und innersten Komplexe/ Probleme/ Perversitäten/ Sonstiges ziehen zu können. Die Welt ist voller Hobbypsychologen. Ich bin oft entsetzt, was für Schlussfolgerungen andere ziehen. Nur ein triviales Beispiel: Ich schrieb eine Science Fiction Kurzgeschichte,
in der ich die Heldin meiner Meinung nach sehr gut dadurch charakterisiert hatte, dass sie jeden Tag zwei Mal eine ganze Stunde in ihrem weiß gekachelten Bad verbringt und dass sie dieses Bad über alles liebt. Ein Bekannter kommentierte diese Kurzgeschichte nicht etwa mit: "Ich finde Deine Message genial", sondern mit: "Ich wusste gar nicht, dass Du so lange im Bad herumtrödelst. Und von weißen Kacheln rate ich Dir ab, die sind auch nur schön, so lange man keine hat." Ähäm. Ich HASSE weiße Fliesen! Die sehen aus wie Krankenhaus. Die Hauptperson meiner Geschichte hat einen Knacks, das wollte ich mit ihrem Badfimmel sagen. Zu spät. Jemand meinte, mal wieder etwas über mich gelernt zu haben. Natürlich passiert das auch bei Fantasy- und Märchenromanen. Da können die wildesten, haarsträubendsten Dinge passieren. Irgendjemand will bestimmt wissen, ob ich das genau so erlebt habe. Natürlich habe ich schon Drachen gejagt, wenn auch nur im übertragenen Sinne. Aber welche Rolle spielt das eigentlich? Lehnt euch doch einfach zurück und genießt die Show!
Aber zweitens würde es mich nicht wundern, dass wenn ich einen Roman schreibe, der tatsächlich in dem Milieu spielt, in dem ich arbeite, gleich mehrere meiner Ex-Chefs und Ex-Chefinnen sich den Schuh anziehen und mich verklagen. Es ist mir leider nie gelungen, irgendetwas zu erfinden, das von der Wirklichkeit weit genug weg ist, dass es überhaupt keine Ähnlichkeit mehr mit real existierenden Geschehnissen hat. Das funktioniert nur in Fantasy, falls überhaupt. Für alle späteren Eventualitäten möchte ich hier auf jeden Fall schon anmerken, dass ich meine Inspirationen
natürlich nicht nur aus meiner persönlichen Erfahrung ziehe, sondern auch aus den Erzählungen von Bekannten und denen, die in Büchern öffentlich zugänglich sind. DeMarco und Lister finde ich zum Beispiel genial, habe aber auch andere Bücher über Mitarbeiter(de)motivation und Management gelesen. Die stecken voller Anekdoten, die mir belegen, dass dieselben Dinge im Berufsleben immer wieder passieren, nur die Namen und die Details ändern sich. Beispielsweise die Farbe des Teppichbodens oder die Währungen. Und diese sich ständig wiederholenden Mechanismen, denen niemand entrinnen kann, die Archetypen, das ist doch der Stoff, aus dem Märchen sind. Einmalige Ausrutscher besonders skurriler Zeitgenossen sind das Thema der Klatschpresse, aber mir geht es die unentrinnbaren Gesetze, die die Welt bewegen. Warum passiert denn derselbe Mist immer wieder? Warum lassen sich manche Katastrophen scheinbar nicht verhindern? Und da die Menschen so gestrickt sind wie sie sind, funktionieren diese Mechanismen natürlich genauso auch in der Fantasy. Und dort ganz besonders, weil in dieser schonungslosen Welt jede Feindschaft und jeder Fehler notwenigerweise tödlich ist und auch ansonsten alles übertrieben deutlich eskaliert. Da kann man in unserer Realität eher unterschwellig ablaufende Mechanismen schön klar diskutieren.